Nachruf auf Professor Richard R. Ernst
Die aktiven und ehemaligen Professorinnen und Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Laboratoriums für Physikalische Chemie der ETH Zürich trauern um
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Richard R. Ernst
der am 4. Juni 2021 im Alter von 87 Jahren verstarb.
Richard R. Ernst studierte Chemie an der ETH Zürich und führte dort auch seine Dissertation mit einem Thema zur Kernspinresonanzspektroskopie aus. Nach der Promotion zum Doktor der technischen Wissenschaften im Jahr 1962 forschte er von 1963 bis 1968 bei Varian Associates in Palo Alto, Kalifornien. Im Jahr 1968 kehrte er an die ETH Zürich zurück, zunächst als Dozent, dann als Assistenzprofessor und ab 1976 als ordentlicher Professor bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1998.
Richards Name ist eng mit der Entwicklung der modernen Kernspinresonanz (NMR) verbunden. Noch während seines USA-Aufenthalts entwickelte er bei Varian Associates in Kalifornien die Fourier-Spektroskopie. Diese führte nicht nur zu einer erheblichen Verbesserung der NMR Signalstärke und damit zu einer Verkürzung der Messzeiten, sondern bildete auch die Grundlage für die mehrdimensionale NMR Spektroskopie, die Richard nach seiner Rückkehr an die ETH Zürich entwickelte. Er erkannte sofort das Potential der Idee der mehrdimensionalen Spektroskopie und entwickelte das notwendige Spektrometer sowie die Algorithmen und Software zur Durchführung und Auswertung der entsprechenden Experimente. Dabei leistete er auch Pionierarbeit bei der Einführung von Laborcomputern in der wissenschaftlichen Forschung. Er erkannte auch das Potential der bildgebenden NMR, die heute als MRI Scanner in jedem grösseren Krankenhaus zu finden ist, und schuf wesentliche Grundlagen für diese Technologie.
Über viele Jahre war Richards Forschungsgruppe führend an der weiteren Entwicklung der NMR Spektroskopie in Festkörpern, Flüssigkeiten und Lösungen beteiligt. Sie machte die NMR Spektroskopie zu einer unentbehrlichen Analysemethode in der Chemie und Biochemie. Die neuen Messkonzepte wurden zur Lösung konkreter offener Probleme in den Naturwissenschaften eingesetzt. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist die Strukturbiologie, in der die NMR Spektroskopie zur Strukturbestimmung von Proteinen dient.
Richard Ernst war nicht nur ein kreativer Forscher mit herausragendem Einfluss auf die physikalische Chemie und weit darüber hinaus, sondern auch ein hervorragender Lehrer, der auch komplizierte Sachverhalte verständlich darstellen konnte. Seinen Doktorandinnen und Doktoranden wie auch seinen Postdocs gab er viel Freiheit, bei hohen Qualitätsanforderungen – besonders allerdings an sich selbst. Viele seiner früheren Schülerinnen und Schüler nehmen heute verantwortungsvolle Positionen in Akademie, Industrie und Gesellschaft ein.
Richard Ernst hat dem Wissenstransfer in die Industrie eine grosse Bedeutung beigemessen und viele seiner Ideen sind in Produkte eingeflossen. Seit 2009 findet die Richard R. Ernst Vorlesung des Laboratoriums für Physikalische Chemie statt, die sich auf seine Initiative dem Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft widmet.
Richard Ernst zeichnete sich besonders durch seine Treue aus, zu seiner Familie, zu seiner Heimatstadt Winterthur, zur Schweiz, zur ETH Zürich, zum Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften, zu unserem Laboratorium und zu seinen Kolleginnen und Kollegen. Weitere herausragende und vorbildhafte Eigenschaften waren seine Fähigkeit, aus gegensätzlichen Polen kreative Kraft zu generieren, seine Ironie, auch sich selbst gegenüber, und sein Mut, berechtigte Kritik schonungslos zu äussern. Zu diesem Zweck hatte er den glücklichen Unglücklichen «Felix Pech» als Alter Ego erfunden, der Wahrheiten mit der nötigen Deutlichkeit aussprechen konnte. Richard war in vielerlei Hinsicht für uns alle im Laboratorium für Physikalische Chemie ein Vorbild. Er war als Mensch und Wissenschaftler ein Wahrheitssuchender und der Wahrheit absolut verpflichtet. Dazu gehört auch Verantwortung: «Verantwortung der Mächtigen gegenüber den Schwachen, Verantwortung der Forscher gegenüber der Gesellschaft, Verantwortung der heutigen Verschwender gegenüber den zukünftigen Notleidenden».
Richard Ernst wurde für sein wissenschaftliches Werk mit vielen Ehrungen und Preisen ausgezeichnet, darunter die Medaille der ETH Zürich für seine Doktorarbeit (1962), der Ruzicka-Preis der ETH (1969), der Marcel Benoist Prize (1986), der Ampere Prize (1990), der Wolf Prize für Chemie (1991), der Horwitz Prize in Biologie und Biochemie (1991) und der Nobelpreis für Chemie (1991). Er erhielt mehr als ein Dutzend Ehrendoktorwürden, unter anderem von der EPFL, der Technischen Universität München und den Universitäten Zürich, Bern, Montpellier, Prag und Antwerpen. Er war Mitglied der US National Academy of Sciences, der Royal Academy of Sciences, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Russian Academy of Sciences, der Korean Academy of Science and Technology und Ehrenmitglied vieler anderer Gesellschaften.
Richard Ernsts Denken und Schaffen waren seiner Zeit oft weit voraus. Er war einer der ganz grossen Naturwissenschaftler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es war ein unglaubliches Privileg, mit Richard zusammenzuarbeiten und seine Forschung weitertragen zu dürfen.