Kristalle formen in Zürcher Schwerelosigkeit

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Kristalle in einem Stück wachsen zu lassen (Monokristalle) und diese je nach Verwendungszweck zu formen, war im Bereich der netzartigen Feststoffe bisher kaum möglich. Dr. Josep Puigmartí-Luis (ICB) und seinem Team ist die Bildung der bislang grössten Monokristalle mit einzigartiger Form aus einem Peptid-basierten metallorganischen Gerüst gelungen – unter kontrollierten, schwerelosen Bedingungen.

von Julia Ecker

Die Natur ist ein präziser Baumeister, wie ein Blick auf perfekt geformte Muscheln am Strand bestätigt. Noch deutlicher wird die Präzision, wenn man den Sand näher betrachtet und die unzähligen Formen der Kieselalgen-Schalen entdeckt. Hier schaffen Biomineralisierungsprozesse einzigartige, hochkomplexe Kristallstrukturen, die sich schliesslich zu grösseren Gebilden zusammenschliessen. Grösse, Form und Zusammensetzung der Kristalle werden dabei exakt gesteuert, massgeschneidert hin auf die Funktion, die die Strukturen am Ende haben sollen: Eine Muschelschale etwa soll schützen – die Form bedingt also Funktion und Eigenschaft.

Bewerkstelligt wird dieser kontrollierte Aufbau durch Biominerale – Stoffe, die aus einer organischen Matrix und einer anorganischen Komponente bestehen. Sie dienen der Chemie und Materialwissenschaft schon lange als Vorbilder bei der Erschaffung von Materialien. Trotzdem ist ihre Kontrolle über Form sowie Grösse der Strukturen teils unverstanden und im Labor bislang unerreicht, auch wenn man viel versucht hat, um dieses System im Bereich der netzartigen Feststoffe zu kopieren. Dr. Puigmartí-Luis (ICB) und seinem Team ist nun allerdings ein grosser Fortschritt gelungen: die Bildung der bisher grössten Monokristalle mit einzigartiger Form aus einem Peptid basierten metallorganischen Gerüst.  

CuGHG Crystals
REM Bilder der CuGHG Kristalle (Foto: Puigmartí et al. / ETH Zurich)

Der Kampf um die Kontrolle

Metallorganische Gerüste (MOF) sind mikroporöse Materialien aus kristallinen Strukturen, entwickelt, um netzartige Feststoffe aus Metallen und Liganden nach dem Vorbild der Natur kontrolliert herzustellen – mit Einschränkungen: „Man kann zwar die Porengrösse und die Liganden-Eigenschaften im Labor steuern“, erklärt Puigmartí-Luis, „aber die Kristalle wachsen trotzdem unkontrolliert.“ Das liege auch an der Schwerkraft auf der Erde. Bei der Herstellung von Glasfasern ist das ein Problem: Diese sollen Licht bzw. Information transportieren – sind die Kristalle, aus denen die Fasern bestehen, nicht präzise geformt, beinträchtigt das den Transport.

Im Weltall aber wachsen Kristalle aufgrund der Schwerelosigkeit viel besser, wie Experimente zeigten – sie könnte helfen, sich dem Vorbild der Natur anzunähern. Puigmartí-Luis Idee war also: „Wir schaffen im Labor schwerelose Bedingungen und nutzen für die Bildung bzw. Formung von Kristallen Peptid basierte MOFs – eine Familie seit kurzem bekannter poröser kristalliner Strukturen, die, ähnlich wie Proteine, flexibler in ihrer Konformation sind als starre klassische MOFs. Das Endprodukt sollten dann aussergewöhnlich geformte Kristalle sein, gewachsen aus einer Lösung aus Tripeptid Glycin-L-Histidin-Glycin und Cu2+, kurz CuGHG.“

 

Type I microfluidic device
Typ I Mikrofluidik Vorrichtung mit Fluidkreislauf und pneumatischen Ventilen. Cu2+ und Peptide werden in die Flüssigkeit eingebracht. Die pneumatischen Ventile dienen der Isolation der Mikrokammern. (Visualisierung: Puigmartí et al./ETH Zurich)

Kristalle formen in der Schwerelosigkeit

Schwerelose Bedingungen lassen sich im Labor über Mikrofluidik-Vorrichtungen imitieren: Mikrochips mit Kanälen ungefähr so dick wie ein Haar, wo winzige Mengen Flüssigkeit bewegt bzw. analysiert werden können und zähflüssige Kräfte dominieren. Für die Bildung und Formung eines CuGHG Kristalls unter solchen Bedingungen, mussten Puigmartí-Luis und sein Team Submikroliter-Kammern auf dem Mikrofluidik-Chip generieren, die abgrenzbar sind (Type I Device) – denn auch in der Natur ist Kompartimentierung für Biomineralisierungsprozesse essenziell. In diese Kammern wurde eine Lösung aus Cu2+ und Peptiden eingebracht. Teils schon nach wenigen Minuten konnten die Forschenden dunkelblaue, polyedrische CuGHG Kristalle erkennen, die aus der Lösung wuchsen – etwa ein oder zwei pro Kammer. Dadurch liess sich auch die Wachstums-Kinetik der einzelnen Kristalle erheben.

Die Suche nach einzigartiger Grösse und Form

Bei genauerer Betrachtung stellte das Forscherteam fest, dass „junge“ Kristalle, die noch nicht an die Kanalwände grenzten, polyedrische Formen aufwiesen. Im Wachstum verloren sie diese Form und nahmen die Form der Mikrokammer an.  

„Wenn wir in der Chemie zum Beispiel Kupfer und Peptide zusammen reagieren lassen, erhalten wir normalerweise die stabilste thermodynamische Form“, erklärt Puigmartí-Luis, „das heisst, auch die Gestalt des Kristalls wird thermodynamisch: Die Oberflächen des Kristalls mit höherer Energie wachsen schneller als andere – so entsteht die typische Form mit scharfen Ecken. Wenn ich aber andere Formen möchte mit anderen Eigenschaften oder Funktionen, muss ich raus aus diesem thermodynamischen Gleichgewicht und erhalte sogenannte Nichtgleichgewichts- formen (noneqilibrium shape). Das wollten wir mit dem Versuchsaufbau erreichen und uns zugleich den natürlichen Biomineralisierungsprozesse annähern.“

Auf Basis der ersten Beobachtungen versuchte die Forschungsgruppe den CuGHG Kristallen noch viel komplexere einzigartige Morphologien zu entlocken und konstruierte Typ II der Mikrofluidik-Vorrichtung (Type II Device: verzweigt, mit neun Einlässen), um Parameter flexibler ändern und Effekte besser beobachten zu können. Das Resultat war ein monolytischer MOF Kristall mit aussergewöhnlich verzweigter Gestalt, der mit konventionellen Kristallisierungsmethoden nicht herstellbar wäre.  

Weitere Experimente – nochmals mit dem Type I Device, aber diesmal ohne pneumatische Ventile – erzeugten weitere faszinierende Formen: z.B. einen kammartigen CuGHG Monokristall (2mm; zu sehen im Titelbild) und flache 2D Morphologien (1,8 mm).  

Wachsen, schrumpfen, nachwachsen

Zwecks weiterer Kontrolle, setzte das Forschungsteam die Kristalle einer konstanten Flüssigkeitszufuhr aus. „Wir Chemiker spielen mit Temperatur, Druck, Zusammensetzung der Lösungsmittel oder funktionellen Elementen, die Teil grösserer Bausteine sind – dabei könnten auch Dinge wie die Flussrate maßgeblich sein“, ist Puigmartí-Luis überzeugt, „kontrolliert man die Flussrate, kontrolliert man die Reaktanten und so das Ergebnis der Reaktionen.“ Tatsächlich erwies sich die konstante Flüssigkeitszufuhr als gutes Werkzeug, um das Kristallwachstum zu steuern: Die Gruppe konnte zum ersten Mal zeigen, dass Kristalle unter der kritischen Konzentration von 100 mM beständig wachsen, solange sie mit der Lösung „gefüttert“ und nicht physisch eingeschränkt werden, sonst schrumpfen sie.

Zudem kommen CuGHG Monokristalle in der Schwerelosigkeit sogar mit Laser- schäden zurecht: Standen die geschädigten Zonen in Kontakt mit der Lösung, konnten sich die Kristalle durch Wachstum ganz regenerieren, sobald der Beschuss beendet war – und das bis zu sechsmal in Folge.  

Grow & Regrow
Regeneration der Kristalle nach Schädigung durch Laser (Foto: Puigmartí-Luis et al./ETH Zurich).

All diese kürzlich im externe SeiteJournal of the American Chemical Society (JACS) veröffentlichten Resultate gewähren tiefere Einblicke in die Entwicklung komplexer Kristalle und werfen Licht auf neue Methoden. „Wir konnten zeigen, dass ein out-of-eqilibrium-Ansatz, imitierte Schwerelosigkeit und das Spiel mit Flüssigkeitsströmungen zusammengenommen eine Annäherung an natürliche Biomineralisierungsprozesse erlaubt: Wir konnten Kristallen Grösse und Form geben. Das ist es, was Natur tut.“ Künftig werden diese Ergebnisse den Materialwissenschaften, aber auch der pharmazeutischen Industrie die Tür zu neuen Anwendungen öffnen.

externe SeitePuigmartí et al. Paper auf den JACS Cover

externe SeitePuigmartí Group

 

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