Acht Tonnen Hoffnung: Weltstärkster Dauermagnet für NMR an der ETH
- D-CHAB
- LAC
- LPC
- Highlights
Wer auf Atomebene sehen will wie Materialien beschaffen sind, Arzneien wirken oder Viren arbeiten, braucht enorme Kräfte und grosses Gerät, konkret: mehrere Spulen, zig Kilometer Draht, eingepackt in potente Kühlsysteme – also den stärksten Dauermagneten für Kernspinresonanz (NMR) der Welt. Kürzlich ist er auf Luftkissen ins HCI eingezogen und nährt dort grosse Hoffnungen, auch in der Virusforschung.
An der ETH Zürich herrscht Aufregung an diesem Tag im Mai, als ein Kran die lang erwartete, teure Fracht aus dem LKW hievt: Ein Nylon umhüllter Transportbehälter, „ETH-blau“ wie man auf Twitter begeistert feststellt, und etwas schwerer als ein Afrikanischer Elefantenbulle. Zuerst in der Luft hängend, dann mittels Luftkissen bewegt sich der mit 1.2 Gigahertz (GHz) und 28 Tesla (T) weltweit stärkste Dauermagnet für Kernspinresonanz (NMR) vorsichtig durch Gänge und Aufzugschächte seinem Ziel entgegen: der Halle unter dem 2. Teich am HCI. Ungestört und gut gekühlt, soll er dort verlässliche Daten und neue Einblicke liefern was Arzneistoffwirkung, Virustherapien oder Materialentwicklung betrifft.
Für die NMR-Forschung sind dies luxuriöse Voraussetzungen, mögen sich Professor Beat Meier (LPC) – Initiator dieser Investition – und Professor Matthias Ernst (LPC) bei dem Anblick gedacht haben. Als ehemalige Doktoranden von Nobelpreisträger Richard Ernst können sie sich bestens erinnern wie es in den 90ern war, als das NMR-Labor noch direkt neben einer Tramlinie lag: Durch ihr ständig wechselndes Magnetfeld störte diese das konstante Feld im Labor. „Ein halbes Jahr meiner Dissertation habe ich nur damit zugebracht, diese Störungen auszugleichen“, erinnert sich Matthias Ernst, der die Installation des neuen Magneten genau verfolgt hat. Vernünftige Werte gab es damals nur nachts – „not a very agreeable time to work“, wie Richard Ernst einmal anmerkte. Mittlerweile werde man solcher Einflüsse besser Herr, so Ernst. Doch der Weg dorthin war lang.
Abstrakte „Kunst“ – Molekülsignale lesen
Im Gegensatz zu Röntgenstrahlung oder Kryoelektronemmikroskopie lassen sich mit der NMR- Spektroskopie Moleküle bei Raumtemperatur und in jedem Aggregatszustand analysieren. Dabei werden Atomkerne einem Magnetfeld ausgesetzt und mit Radiofrequenzen angeregt. Die Kerne „antworten“ mit Resonanzfrequenzen, die – einmal aufgezeichnet – ein abstraktes Kunstwerk aus Signalen ergeben, welche Rückschlüsse auf Struktur und Dynamik der Moleküle zulassen, sofern sie klar genug für eine Interpretation sind. Voraussetzung dafür ist ein starkes, stabiles und gleichmässiges Magnetfeld. Der Magnet ist also von entscheidender Bedeutung.
Das Magnetfeld entsteht durch Drahtspulen, in denen Strom fliesst. Durch Optimierung der Materialien konnte man seit der Erfindung der NMR Mitte des 20. Jahrhunderts die Resonanzfrequenz (anfangs etwa 60 MHz) und die Feldstärke (anfangs etwa 1,4 T ≙ einem starken Elektromagneten) stetig erhöhen. Zuletzt nutzte man Tieftemperatur supraleitende Magnete: Spulendrähte aus Materialien, die bei tiefen Temperaturen ihren Widerstand verlieren und so ein stärkeres Feld ermöglichen. „Zudem pumpt man an dem Helium, welches zum Kühlen der Materialien dient, damit sein Siedepunkt sinkt. Auch das hilft“, erklärt Ernst, „bei 1GHz und 23 T war trotzdem Schluss. Es brauchte eine neue Technologie.“
Starke Kräfte, höllischer Lärm
Der neue von Bruker produzierte Dauermagnet - ein supraleitender Magnet, der dauerhaft magnetisch bleibt ohne an ein Netzgerät angeschlossen zu sein - bringt es auf 1.2 GHz und 28 T. Das sind etwa sieben Mal so viel Tesla wie bei einer MRT im Krankenhaus. „Würde etwas aus Eisen in diesen Magneten gelangen“, so Ernst, „brächte man es, ohne den Magneten abzuschalten, nicht mehr weg.“ Diese enorme Kraft gelingt durch eine neue Kombination aus Materialien: Der äussere Teil des Magneten besteht aus den erwähnten Tieftemperatur Supraleitern, der innere aus Hochtemperatur Supraleitern – Materialien also, die schon bei höheren Temperaturen ihren Widerstand aufgeben und ein höheres Magnetfeld aushalten. In Summe lassen sich so höhere Felder erzielen. Gekühlt wird der Magnet mit flüssigem Stickstoff und Helium. Wichtig ist, dass die Materialien den Kräften standhalten. „Wenn nicht, würde die ganze Energie im Magnetfeld schlagartig in Wärme umgewandelt“, erklärt Ernst. Das mache höllischen Lärm, das Helium würde sofort verdampfen. Dafür gebe es aber Ventile.
Grosse Hoffnung – Datenspeicher bis Virenmittel
Nun hat man viel vor. Professor Beat Meier etwa will den Magneten mit seinem Team für die Erforschung von amyloiden Fibrillen nutzen – Proteinfasern, die etwa bei Alzheimer eine Rolle spielen und deren Struktur Meiers Gruppe als eine der ersten ergründet hat. Zudem wird sich das Team, zusammen mit zwei anderen Gruppen, Stoffen widmen, welche die Vermehrung von Hepatitisviren blockieren. „Etwa 200 Millionen Menschen haben chronische, unheilbare Hepatitis B“, sagt Meier, mit NMR wolle man sehen wie potentielle Medikamente an die Virusproteine binden. Auch die Hilfsproteine von Corona habe man im Fokus.
Professor Alexander Barnes (LPC) möchte die NMR-Technologie weiterentwickeln. Durch den Einsatz von „kugelförmigen Probenbehältern und speziellen Mikrowellen-Quellen lässt sich die Leistung und Empfindlichkeit der NMR stark steigern", sagt Barnes. Der neue Magnet sei zudem ein wichtiger Schritt zu noch höheren Feldern, die man auch nützen wolle, um Moleküle in Zellen strukturell zu untersuchen. Professor Christophe Copérets Gruppe (LAC) erforscht via NMR die Struktur von Feststoffkatalysatoren und funktionellen Materialien, etwa für Energie-Umwandlung und Datenspeicherung. „Der Magnet ermöglicht hoch aufgelöste Signale. Das lässt detaillierte Aussagen über Struktur und Eigenschaften der Stoffe zu und gestattet Prognosen, wie sie reagieren“, so Copéret. Zusätzlich sind bei allen Gruppen diverse, auch internationale Kooperationen in Planung.
Ab August 2020 soll der Magnet bereit sein. Derzeit wird er noch heruntergekühlt und geladen. Abgesehen von Zürich besitzt weltweit nur noch Florenz (Italien) so einen Magneten. Die Investition wird sich lohnen, ist man überzeugt. Für Spitzenforschung brauche man Spitzengeräte, sagt Meier, und von diesen 8 Tonnen erhoffe man sich besonders viel, nämlich „ganz neue Einblicke, am besten unerwartete, denn das sind schliesslich die interessantesten.“
Weitere Information
externe Seite Bruker 1.2 GHz NMR Magnet
Solid-State Nuclear Magnetic Resonance Group
Solid-State NMR Spectroscopy Group
Lecoq, L., Schledorn, M., Wang, S., Smith-Penzel, S., Malär, A.A., Callon, M., Nassal, M., Meier, B.H., Böckmann, A., 2019. 100 kHz MAS Proton-Detected NMR Spectroscopy of Hepatitis B Virus Capsids. Frontiers in Molecular Biosciences 6, 80–10. externe Seite doi:10.3389/fmolb.2019.00058