"Stellt immer die wichtigen Fragen"

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Sein Vater hat ihm den Unternehmergeist vermittelt, zwei Nobelpreisträger das Fachwissen: Dario Neri hat von den besten gelernt. In den letzten 24 Jahren war er selbst Professor an der ETH Zürich, hat den Austausch mit der Industrie gefördert und eine erfolgreiche Firma aufgebaut. Für diese verlässt er nun die ETH und erzählt in einem persönlichen Rückblick von lebensrettenden Antikörpern, fast perfekten Systemen und der Notwendigkeit stets bedeutsame Fragen zu stellen.

Auf manche Menschen wirkt ein Aufnahmegerät einschüchternd. Professor Dario Neri hingegen freut sich – noch bevor das Lämpchen leuchtet, beginnt er zu erzählen. Er weiss genau, was er sagen will, ebenso wie er schon immer wusste, was er einmal tun würde: „Medikamente entwickeln“ meint der heute erfolgreiche Forscher und Unternehmer lächelnd, die Begeisterung nach all den Jahren noch immer in den Augen.

Seine Leidenschaft für Therapeutika kommt nicht von ungefähr. Dario Neri ist 1963 in Rom geboren und im italienischen Siena aufgewachsen, einer kleinen Stadt mit grosser Biotech-Tradition. Sein Urgrossvater (Achille Sclavo) war der erste, der 1899 Patienten ein Antikörperserum gegen Anthrax verabreichte. Zudem gründete er um 1902 eine Firma, in der Neris Vater Forschungsleiter war. «Meine Familie hat mir immer Leidenschaft für die Pharmaindustrie vermittelt», erzählt Neri, «zwar habe ich nicht alle Ratschläge befolgt, aber ich habe zugehört». Fachlich haben ihn jedoch vor allem seine Mentoren geprägt.

Prof. Neri und seine Frau in Cambridge
Dario Neri und Alexandra Neri in Cambridge / UK 1995 (Foto: Dario Neri / ETH Zürich).

Lernen von den Besten

Nach seinem Chemie-Master an der Scuola Normale Superiore in Pisa (Italien) war Neri klar, dass er mehr über Proteine als Bindepartner von therapeutischen Wirkstoffen lernen sollte. Als Kurt Wüthrich an der ETH Zürich als erster die Struktur von Proteinen in Lösungen aufklärte, begann Neri bei ihm sein Doktorat und fand im späteren Nobelpreisträger einen guten Lehrer. Kurt Wüthrich, der 2002 den Nobelpreis für Chemie gewann, war immer und bleibt ein Vorbild für Neri – nicht nur in Bezug auf die erfolgreiche Leitung einer grossen Forschungsgruppe, sondern auch aufgrund seines kompromisslosen Strebens nach wissenschaftlicher Akkuratheit und Detailgenauigkeit in wichtigen Forschungsfragen.

Charles Weissman, «ein Genie in Medizin, Biologie und Chemie an der ETH», inspirierte ihn, sich nach dem Doktorat mehr mit Biologie zu befassen. Weissman hatte bahnbrechende Beiträge zur modernen Molekularbiologie und auf dem Gebiet der therapeutischen Proteine geleistet. Es war aber Sir Gregory Winter, der Neri bei seinem Aufenthalt in Cambridge zeigte, wie man humane Antikörper produziert und für bestimmte Zecke passend modifiziert. Zudem lehrte er ihn, wie man Phagen-Bibliotheken herstellt – eine Sammlung von Antigenen, die auf der Oberfläche von Bakteriophagen präsentiert werden, zwecks Suche nach Liganden für pharmazeutische Anwendungen. Für seine Forschung zum Protein-Engineering erhielt Winter 2018 den Nobelpreis. «Sir Gregory ist nicht nur ein grossartiger Wissenschaftler und ein wunderbarer Mensch. Er ist auch ein erfolgreicher Unternehmer, der wichtige Antikörper basierte Medikamente auf den Markt brachte, die für die Behandlung von Millionen von Menschen verwendet werden.»

Mitglieder der Neri Gruppe, Neris Frau und der erstgeborene Sohn Paolo
Mitglieder der Neri Gruppe, Neris Frau und sein erster Sohn Paolo 1997 (Foto: Dario Neri / ETH Zürich).

Harter Start – Bibiotheken und Targeting

Es war Ironie, findet Neri, dass sich sein erster Forschungsantrag an der ETH – kurz nach seiner Rückkehr in den 90ern – genau mit Winters Thema beschäftigte, aber zunächst abgelehnt wurde. Neri wollte eine Bibliothek mit Antikörpern etablieren, um Moleküle für das in vivo Targeting von Tumoren – sein Spezialgebiet – zu finden. Er wusste, dies würde die Suche nach Therapeutika sehr erleichtern. «Aber als ich hier anfing hatte ich kaum Budget und eine kleine Gruppe», erinnert sich Neri. Die Absage traf ihn hart: Es hiess, solche Bibliotheken würden bald ohnehin kommerziell verfügbar sein.

«Ich entwarf verärgert einen Brief an die Kommission. Es ist Wüthrich zu verdanken, dass der Brief dort entschärft ankam und dem Antrag im zweiten Anlauf stattgegeben wurde», erzählt Neri, «das war die Basis, für alles Weitere. Dennoch: Es war richtig zu widersprechen – die Kommerzialisierung dieser Bibliotheken hat am Ende 20 Jahre gedauert und sie sind auch heute noch wertvolle Werkzeuge.» Das zeige, dass in einer Forscherkarriere nicht immer alles glattlaufe. «Aber wenn man ein fast perfektes System hat wie an der ETH, und etwas Geduld, wird man einen Weg finden.»

Libraries
Schema Antibody Phage Display Library und DNA-Encoded Chemical Library (Visualisierung: Dario Neri / ETH Zürich). 

Ein Vierteljahrhundert an der ETH

Heute kann Neri auf 28 ereignisreiche Jahre an der ETH zurückblicken, davon 4 Jahre als Doktorand und 24 Jahre als Professor. «Mittlerweile würden zwar Ressourcen wie etwa die Arbeitsausrüstung besser verteilt und Innovationen mehr gefördert», meint er, «allerdings hat auch die Bürokratisierung enorm zugenommen, was die Forschung beeinträchtigt. Trotzdem waren es sehr produktive Jahre», zeigt sich Neri zufrieden. Unter seiner Leitung entstanden neben 400 Publikationen. Zudem leistete die Gruppe wichtige Beiträge im Bereich kodierter kombinatorische Bibliotheken und ihrer Anwendungen in der Medizin. Diese Techniken erlaubten den Aufbau von Bibliotheken, die Milliarden von Antikörpern und DNA-kodierte Molekule beinhalten. Diese Sammlung kann zur Identifikation von Bindepartnern für pharmazeutische Zwecke dienen, was der Ausgangspunkt für praktisch jedes Arzneimittelentwicklungsprojekt ist. Auch wenn sich die Gruppe vor allem auf Tumor-Targeting spezialisiert hat, können die Bibliotheken unter anderem auch für die Covid-19-Forschung genutzt werden.

Das allerwichtigste ist eine bedeutende Fragestellung!Professor Dario Neri

Das hat Neri auch seinen Studierenden stets versucht zu vermitteln – speziell seinen 85 Doktorierenden, die er teils auf ihrem Weg in die Industrie oder akademische Positionen begleitet hat. Manche entwickeln heute erfolgreich selbst Therapeutika – «das ist immer meine Hoffnung gewesen.» Seit seiner Zeit in Cambridge ist auch Neri, zusammen mit seinen Brüdern Duccio and Giovanni Neri, nebenbei als Unternehmer in seiner Firma externe Seite Philogen tätig: eine schweizerisch-italienische Biotech-Firma lokalisiert in Otelfingen und Siena mit rund 100 Mitarbeitern, die therapeutisch wirksame Antikörper entwickelt, hauptsächlich gegen Tumore. Nun möchte er das Risiko wagen und sich ganz der Industrie widmen: «Ich war gerne produktiv als Professor und als Unternehmer, aber die Firma wächst schnell.» Irgendwann habe die Zeit einfach nicht mehr für gereicht, zumal er auch noch eine Familie habe, mit der er gerne Zeit verbringt.

Die Neri Gruppe auf einem Ausflug nach Italien 2014
Die Neri Gruppe auf einem Ausflug nach Italien 2014 (Foto: Dario Neri / ETH Zürich). 

Neri wird weiterhin an der ETH unterrichten. Der Abschied vom regulären Betrieb schmerzt ihn trotzdem: «Ich bin dankbar, dass ich das Privileg hatte in so einer grossartigen Institution mit grossartigen Partnern und Menschen zusammenzuarbeiten, darunter mein langjähriger Oberassistent Jürg Scheuermann und meine Assistentin Pia Steinbach. Zudem bin ich vielen Mitarbeitern zu Dank verpflichtet, darunter PD Dr. Giuliano Elia und Dr. Teresa Hemmerle, die zuerst an der ETH und später bei Philogen mit mir zusammengearbeitet haben und die zwei Produkte betreuen, die derzeit in internationalen klinischen Studien der Phase III getestet werden. Auch mit vielen Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz und im Ausland geniesse ich eine angenehme und fruchtbare Zusammenarbeit. Besonders erwähnen möchte ich die Zusammenarbeit mit den Gruppen von Prof. Dr. Markus Manz und Prof. Dr. Michael Weller am Universitätsspital Zürich.»

Letztlich ist Forschung immer Teamarbeit.Professor Dario Neri
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