Auf der Suche nach dem fehlenden Puzzleteil

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Lignin ist mit 20 Milliarden Tonnen Jahresaufkommen eine der häufigsten organischen Verbindungen der Welt. Was, wenn sich dieser komplexe Stoff einfach in nachhaltigen Treibstoff umwandeln liesse? Patrick Hemberger, Wissenschaftler am Paul Scherrer Institut in Villigen, fand 2017 erstmals einen effizienten Weg, um diesen Prozess zu untersuchen. Für die Erforschung von reaktiven Zwischenprodukten in der heterogenen Katalyse erhält er nun den Ruzicka-Preis 2020. Im Portrait stellt er sich vor.

von Julia Ecker

Seltsame Geräusche dröhnen durch die Halle, während man auf dem Gerüst steht und die gewaltige graue Kreisbahn unter sich betrachtet. Es dürfte vom Typ her eine der schnellsten „Rennstrecken“ der Welt sein – nur werden bei externe SeiteSynchrotrons wie jenem am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen keine Läufer auf die Bahn geschickt, sondern Elektronen. Fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegen sie sich hier auf ihrer 288 m langen Kreisbahn durch das Vakuum. Wichtiger aber ist, was sie bei gezielter Ablenkung emittieren: Photonen. Diese ermöglichen Forschern wie Patrick Hemberger Dinge zu beobachten, die sonst nicht zu entdecken wären – z.B. neue Zwischenprodukte (Intermediate). Diese sind die „Weichensteller“ bei chemisch komplexen Reaktionswegen zwischen Ausgangsstoff und Endprodukt, und massgeblich, wenn es gilt, Prozesse wirtschaftlicher zu gestalten – etwa die Treibstofferzeugung aus Naturstoffen wie Lignin. Vorausgesetzt, man kennt die richtige Methode.

Dr. Patrick Hemberger in der Synchrotron-Halle des Paul Scherrer Institutes (PSI)
Dr. Patrick Hemberger in der Synchrotron-Halle des Paul Scherrer Institutes (PSI) (Foto: Julia Ecker / ETH Zürich).

Catch & steer statt cook & look

„Lange Zeit änderte man einfach die Parameter und schaute was als Produkt rauskommt, so nach dem Motto cook & look“, erklärt Hemberger, das sei ineffizient. Um den Prozess zu optimieren, müsse man die reaktiven Zwischenprodukte kennen – Moleküle also wie z.B. Propyl-Radikale, die im Verlauf einer chemischen Reaktion unter bestimmten Bedingungen entstehen, und die sehr reaktionsfreudig sind. Bei der Umsetzung der Ausgangsstoffe entstehen während der Reaktion aber ganz unterschiedliche Moleküle, und alle können die Entstehung des gewünschten Produktes beeinflussen [Video]. Ziel von Patrick Hembergers Forschung am PSI ist es daher, diese reaktiven Zwischenprodukte zu finden, zu verstehen und damit Prozesse zu lenken. „Versteht man die Intermediate, versteht man die Chemie hinter den reaktiven Systemen – sie sind das fehlende Puzzleteil“, betont Hemberger.  

Unkonventionelle Karriere, unkonventionelle Methoden

Hemberger stammt ursprünglich aus Würzburg, Deutschland. Er ist einen eher unkonventionellen Weg gegangen und hatte zunächst eine Ausbildung zum Chemielaboranten erfolgreich absolviert, bevor er sein Chemiestudium in Würzburg aufnahm. Während des Diplomstudiums in Professor Ingo Fischers Gruppe beschäftigte er sich dann erstmals mit Synchrotronstrahlung. „Die Idee war, reaktive Intermediate in kleinen Reaktoren zu produzieren und deren Photoelektronenspektrum zu messen. Wir wollten sehen, ob wir die Spektren vorhersagen können.“ 2011 promovierte er in Fischers Gruppe nach nur zweieinhalb Jahren im selben Bereich über Spektroskopie und Dynamiken reaktiver Intermediate und wechselte kurz darauf ans PSI nach Villigen. Dort ist er seither als Wissenschaftler an der Vacuum-Ultraviolett-Strahllinie (VUV) tätig. Hemberger führt daran eigene Forschungsprojekte durch und ist für die Entwicklung, Wartung und Nutzerbetreuung zuständig.  

Die Energie für all diese Aufgaben sammelt der Vater zweier Kinder gerne bei gemeinsamen Ausflügen mit der Familie oder beim Rennrad fahren, die Inspiration für die Forschung aber kommt vor allem durch den engen Kontakt mit den Nutzern. Während seiner Arbeit erkannte er bald, dass Intermediate der Schlüssel sind, um die Chemie in reaktiven Systemen zu verstehen. Standard-Werkzeuge wie die klassische Massenspektrometrie oder die Kernspinresonanz konnten diese Intermediate aber bislang nur schlecht erfassen. Die Halbwertszeit der Moleküle sei zu kurz. „Man muss sicherstellen, dass sie überleben, bis man sie detektiert hat“, erklärt Hemberger. Zudem seien die Moleküle kaum auseinanderzuhalten. Manche hätten die gleiche Summenformel (folglich bei gleicher Anzahl und Art der Atome auch die gleiche Masse), aber die Strukturen seien unterschiedlich. Daher etablierte Hemberger iPEPICO (Imaging Photoelectron Photoion Coincidence Spectroscopy) als in-situ-Analyseinstrument. Dabei handelt es sich um eine Methode, bei der VUV-Synchrotronstrahlung zum Einsatz kommt und die Massenspektrometrie mit der Photoelektronenspektroskopie kombiniert wird.

Dr. Patrick Hemberger an der Strahllinie
Dr. Patrick Hemberger an der Strahllinie (Foto: Julia Ecker / ETH Zürich). 

Eine Frage der Kombination

Die Moleküle werden durch die VUV-Synchrotronstrahlung – ein spezielles Licht – ionisiert. Dabei werden Elektronen aus den äussersten Molekülorbitalen herausgeschlagen. Das ermögliche hohe Sensitivität und Selektivität, sagt Hemberger, denn anders als bei der typischen Massenspektroskopie würden die Moleküle durch die fein abstimmbare VUV-Strahlung nicht fragmentiert: So besteht keine Verwechslungsgefahr zwischen Intermediaten und methodenbedingt fragmentierten Molekülen. Die Intermediate können aber immer noch als Isomere vorliegen, das heisst in unterschiedlicher räumlicher Anordnung. Jedoch sind auch diese nur schwer zu unterscheiden. „Durch die Kombination aus Massenspektrometrie und Photoelektronenspektroskopie aber erhält man zusätzlich zur Molekülmasse auch das Photoelektronenspektrum und somit eine Art „Fingerabdruck“ von jedem Molekül“, erklärt Hemberger, „so können die Peaks den Molekülen und sogar den Isomeren zugewiesen werden.“  

Threshold photoionization matrix of the detected products and intermediates upon catalytic pyroylsis (Visualization: Hemberger et al. 2017).
Detektierte Produkte und Zwischenprodukte bei der katalytischen Pyrolyse (Ausschnitt) (Visualisierung: Hemberger et al. 2017).

Mit dieser Methode leistete Hemberger Pionierarbeit. Er schaffte es damit komplexe reaktive Intermediate bei Verbrennungen zu detektieren oder Fulvenon als zentrales reaktives Zwischenprodukt bei der katalytischen Pyrolyse des Ligninbestandteils Guaiacol erstmals nachzuweisen: „Lignin ist ein Makromolekül aus verschiedenen Phenoleinheiten. Man muss es zuerst aufbrechen, um zum Endprodukt zu gelangen.“ Dazu habe er den Zersetzungsmechanismus der organischen Verbindung Guaiacol bei etwa 400° C und ohne Sauerstoff untersucht (Pyrolyse). Als Katalysator und Oberfläche für die Reaktion diente das vielporige Material Zeolith. Das Verfahren könnte dazu beitragen, die Umwandlung vom CO2-neutralen Ausgangsstoff Lignin zu Feinchemikalien und Brennstoffen via katalytischer Schnellpyrolyse künftig wirtschaftlicher zu gestalten.

Für seine Arbeiten rund um die Aufklärung des Pyrolyse-Mechanismus durch Erforschung der reaktiven Zwischenprodukte erhält Hemberger nun den Ruzicka-Preis 2020: „Es ist eine grosse Ehre für mich, dass meine Forschung jetzt auch ausserhalb des PSI und der eigenen Forschungscommunity solche Ankerkennung findet.“ Künftig möchte er weiteren katalytischen Phänomenen auf den Grund gehen, unter anderem der Verkokung. „Aber auch das Lignin wird uns weiterhin auf Trab halten“, meint Hemberger lachend, „mindestens für die nächsten drei Jahre.“

Hinweis: Ruzicka-Preisverleihung

Die Verleihung findet am 24. November 2020 von 17-18 Uhr statt und kann über livestream via YouTube mitverfolgt werden.

Mehr Informationen auf der Ruzicka-Preis-Homepage

Further Information

externe SeitePaul Scherrer Institute in Villigen

Hemberger, P., Custodis, V., Bodi, A. et al. Understanding the mechanism of catalytic fast pyrolysis by unveiling reactive intermediates in heterogeneous catalysis. Nat Commun 8, 15946 (2017) externe SeiteDOI: 10.1038/ncomms15946

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