Eine Nase für das Wesentliche
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Ein Zufall führte ihn in die Industrie, ein Zufall zurück an die Hochschule. Den Erfolg in beiden Milieus, verdankt Antonio Togni aber nicht zuletzt seinem guten Gespür für Themen und Mentoren. Nun geht er in den Ruhestand. Im Gespräch erzählt der Metallorganiker davon, wie er zwei Moleküle zum Fundament seiner Karriere machte, wie er als Prorektor Doktorat bisweilen an seine Grenzen stiess und warum die Spitze eines Berges nicht zwangsläufig das Ziel ist.
Professor Antonio Togni steht gern auf Berggipfeln – er schätzt die Natur, den Kitzel der Gravitation in der Höhe. Auch wissenschaftlich hat der gebürtige Bündner einen „Gipfel“ mit guter Aussicht erreicht: Er kann zurückschauen auf 22 erfolgreiche Jahre als ordentlicher Professor an der ETH, in denen er geforscht und das Lehrdiplom sowie das Doktorat massgeblich mitgeprägt hat. Fragt man Togni aber nach dem Weg dorthin, schmunzelt er nur: An eine Professur habe er nie gedacht. Dieser Gipfel war ihm als Doktorand unerreichbar erschienen. Doch Togni sollte stets zur richtigen Zeit, am richtigen Ort sein und über eine gute Nase verfügen – für Forschungsfragen im Bereich der enantioselektiven Katalyse ebenso wie für gute Mentoren und die dadurch gebotenen Chancen.
Als Postdoc sei er „wie ein Paket“ ans California Institute of Technology verschickt worden – „alles war vorbereitet. Ich habe nur ja sagen müssen“, erinnert sich Togni und klingt, als wundere er sich noch heute darüber. Die Postdoc-Position im extrem kompetitiven Umfeld der USA empfand er jedoch als wenig hilfreich, im Gegenteil. Das überbordende Selbstbewusstsein der Amerikaner bescherte ihm eher Unsicherheit. „Es hat viel Zeit gekostet, zu realisieren, dass auch da nicht alles Gold ist, was glänzt.“
Die Industrie und der Sinn fürs Wesentliche
Zurück in der Schweiz erhielt Togni die Möglichkeit, in die Industrie zu gehen und wechselte zu den Zentralen Forschungslaboratorien der damaligen Ciba Geigy AG – eine prägende Erfahrung. Er war dort hauptsächlich für die Entwicklung neuer enantioselektiven homogenkatalytischen Reaktionen und der dazu benötigten chiralen Liganden zuständig. Dabei geht es um Katalysatoren, die die Händigkeit von Molekülen erkennen können, sodass eine von zwei spiegelbildlichen Formen bevorzugt entsteht. „Man sagte mir am ersten Tag, was man erwartete und die nächste Etappe war der Jahresbericht. Da habe ich gelernt, was es heisst, Leute einfach machen zu lassen. Ich bin aufgeblüht und mit der Zeit ist das Selbstbewusstsein wieder gewachsen – das und meine Nase“, scherzt Togni, „die Industrie schärfte meinen Geruchsinn fürs Wesentliche.“
Letzteres bestand – abgesehen davon gebotene Chancen zu erkennen und zu ergreifen – darin, sich nicht mit experimentellen Sackgassen aufzuhalten, sondern frühzeitig neue Ansätze zu wagen. Es ging darum Bekanntes aus der Praxis weiterzudenken und neue Reaktionen daraus zu entwickeln, die wiederum praktisches Anwendungspotenzial haben. Tatsächlich lässt sich Tognis wissenschaftliche Karriere mit zwei Molekültypen umreissen: 1. Chirale Ferrocenyl Liganden und 2. Hypervalente Iod Reagenzien.
Eine Karriere, zwei Molekültypen
Noch bei Ciba-Geigy hatte Togni mit dem dortigen Team sogenannte Ferrocene – metallorganische Verbindungen mit aromatischen Liganden und zentralem Eisenatom – weiterentwickelt und ihre Anwendbarkeit in diversen Reaktionen gezeigt. „Ein Herbizid von Syngenta mit Milliardenumsatz wird zum Beispiel mit einem Katalysator gemacht, der einen dieser Ferrocenyl-Liganden enthält“, erzählt Togni, „glücklicherweise hatten wir die Liganden vorher patentiert.“
Doch Ciba-Geigy stand vor grossen Umbrüchen. Erneut konnte Togni auf einen Zufall und seine Kontakte zählen. Ein Lehrauftragsangebot brachte ihn zurück zu Hochschule und Lehre – erst an die Universität Zürich, dann an die ETH Zürich. Dort startete er seine Assistenzprofessur nicht nur mit seinen eigenen Substanzen, die er verpackt in Fläschchen von Ciba-Geigy mitgebracht hatte, sondern auch mit einem guten Satz an Publikationen im Gepäck und ersten Doktoranden, noch ehe die Professur offiziell war.
Die Aufbauphase lief gut. Seine Gruppe arbeitete an den Ferrocenyl-Liganden weiter, darunter externe Seite Josiphos – ein Ligandentyp, den Togni’s Laborantin Josephine synthetisiert hatte. Er benannte den Liganden nach ihr, was prompt zum Trend unter Kollegen avancierte. Darüber hinaus sei man in den 90ern auch auf der Suche nach Zusätzen gewesen, die katalytische Reaktionen in ihrer Selektivität beeinflussen konnten, erzählt Togni. „Mit Fluorid hatten wir einen krassen Effekt.“
Fluororganische Verbindungen sind wichtig für die Industrie, z.B. in Medikamenten oder im Pflanzenschutz. Tognis Gruppe entwickelte im Jahr 2000 die erste externe Seite enantioselektive katalytische Fluorierung. „Ich wollte dann diese Chemie auf die Trifluormethylgruppe (CF3) erweitern – dafür gab es aber die Reagenzien nicht, bis wir auf die externe Seite hypervalenten Iodverbindungen gekommen sind", erinnerte sich Togni. Diese stiessen nach der Publikation 2006 schnell auf kommerzielles Interesse. Bis heute trieb Tognis Gruppe die Entwicklungen in der fluororganischen Chemie weiter voran.
Die Freuden und Leiden von Lehre und Doktorat
An der ETH ist Antonio Togni aber auch wegen seines grossen Engagements in der Lehre bekannt – unter anderem in der Lehrerausbildung oder bezüglich Weiterentwicklung des Doktorats. „Für die Lehre im Gymnasium habe ich mich begonnen zu interessieren, als meine Kinder ins Gymi kamen“, meint Togni lachend. Lange vor der Initiative (externe Seite HSGYM) – Dialog an der Schnittstelle Hochschule-Gymnasium – habe er mit Kollegen bereits Kolloquien für Lehrpersonen organisiert. Später wirkte er an der Reform für die Lehrerausbildung der ETH Zürich im Bereich Chemie mit und entwickelte eine neue Vorlesung über „die neueste Forschung der Chemie, aber mit Relevanz für den Gymnasial-Unterricht“. Er deutet auf ein buntes Skript vor sich auf dem Schreibtisch: „Diese Vorlesung zu halten, macht enorm Spass.“
Weniger unterhaltsam stellte sich bisweilen das Amt als Prorektor fürs Doktorat heraus. An seinem Schreibtisch habe er seit 2016 viele schwierige Gespräche führen müssen, auf die er nicht vorbereitet gewesen sei. Eine mentale Belastung, die über die Arbeit hinausging. Fragt man ihn danach, ob sich das Doktorat verändert habe, kommt die Antwort schnell: „Ja, auch die Doktorierenden. Sie sind zielstrebiger, schätzen die Eigenständigkeit, wollen aber auch gute Betreuung.“ Zugleich seien sie einem stärkeren Druck ausgesetzt. Alles drehe sich um publish or perish. Er merke das auch in seiner Gruppe: „Zu mir kommen die Leute auch, weil dieser Druck nicht da ist.“ Ihm sei Qualität immer wichtig gewesen, und ein gutes Betreuungsverhältnis – die Leute sollten mit ihm arbeiten können, nicht für ihn.
"Die Menschen sollen mit mir arbeiten, nicht für mich." Prof. Antonio Togni
Der Pensionierung blickt Togni nun gelassen entgegen. Die eine oder andere Vorlesung werde er ja noch eine Weile halten und was die Forschung betrifft, „habe ich gemacht, was ich konnte.“ Es sei Zeit für Jüngere. Sein Plan ist fürs Erste keinen Plan zu haben – ausser den, weiterhin in seiner Freizeit auf Berge zu klettern, nur um dann so schnell wie möglich bergab zu sprinten. Darauf freue er sich immer am meisten – „je steiler, desto besser!“