Richard Ernst - ein persönlicher Nachruf

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Die ETH Zürich trauert um Richard Ernst, emeritierter ETH-​Professor und Nobelpreisträger. Alexander Wokaun hat einst bei ihm promoviert und erinnert sich an ihn – ein persönlicher Nachruf.

von Prof. em. Dr. Alexander Wokaun
Richard Ernst 1991 in seinem Labor an der ETH Zürich. (Bild: Privatarchiv Richard Ernst)
Richard Ernst 1991 in seinem Labor an der ETH Zürich. (Bild: Privatarchiv Richard Ernst)

Mit grossem Bedauern und in tiefer Betroffenheit habe ich vom Tod von Richard Ernst erfahren. Richard Ernst war für mich mehr als nur ein Doktorvater, er war ein Mentor und väterlicher Ratgeber. Mit seiner bahnbrechenden Forschung zur Kernresonanz legte er die Grundlage für die spätere Entwicklung der Magnetresonanztomografie (MRI). Weit über die analytische Chemie und Strukturforschung hinaus leben seine Erkenntnisse damit täglich in Spitälern und radiologischen Praxen weltweit fort.

Persönlich begegnete ich Richard Ernst zum ersten Mal während meines Chemiestudiums an der ETH Zürich. Auch ich hörte damals Vorlesungen bei den Professoren der Physikalischen Chemie, namentlich bei Hans Heinrich Günthard und Hans Primas. Richard Ernsts eigene Vorlesungen über Messtechnik und die Grundlagen der kernmagnetischen Resonanz, seine Persönlichkeit und die lebhafte Art seines Vortrages beeindruckten mich derart, dass ich im Frühjahr 1974 bei ihm um ein Thema für meine Diplomarbeit vorsprach.

Im Herbst desselben Jahres erhielt ich die Chance, als Doktorand in die Gruppe von Richard Ernst einzutreten. In seinem vollständigen Engagement und bedingungslosen Einsatz für die Wissenschaft setzte er für sich selbst die höchsten Massstäbe und war damit allen Gruppenmitgliedern ein Vorbild, ohne sie zu überfordern. Oft habe ich erlebt, dass wir nachmittags über ein wissenschaftliches Problem diskutierten und er am nächsten Morgen mit einer in seiner sauberen Handschrift formulierten Lösung zurückkam, die er am späten Abend oder in der Nacht ausgearbeitet hatte. Unser montägliches Gruppenseminar war ein anderes Beispiel – hatte sich ein Doktorand verhindert erklärt, sprang Richard Ernst ein und referierte selbst über das aktuelle Thema.

Äusserst spannend waren diese Jahre zwischen 1974 und 1978 – in dieser Zeit wurden mit der zweidimensionalen Spektroskopie die Grundlagen dafür gelegt, dass diese Technologie ihre heute überragende Bedeutung in Chemie, Biologie und Medizin erhalten hat. In den Nachbarlabors arbeiteten meine Kollegen aus der Gruppe an der Erhöhung der Empfindlichkeit von MRI-​Verfahren, und ich erlebte die Erwartungen und den Durchbruch der Bildgebung mit, während meine eigene Dissertation einen anderen Aspekt der mehrdimensionalen Spektroskopie betraf. Es bedeutete für mich einen wichtigen Meilenstein, als ich die Arbeit mit der Doktorprüfung abschliessen konnte.

Ein zweites Mal bewährte sich Richard Ernst als Mentor, indem er mir riet, mir während meines Postdoc-​Aufenthaltes in den USA noch eine andere experimentelle Methodik anzueignen. So fand ich meinen Weg in die Laserspektroskopie, die dann in den Jahren von 1982 bis 1986 auch Grundlage meiner Habilitation in einem anderen Team an der ETH Zürich bildete. Aber auch in dieser Zeit blieb der Kontakt mit Richard Ernst – dank der Arbeit an unserem gemeinsamen Buch – immer lebendig und aufrecht.

Als ich im Jahr 1991 – damals schon an der Universität Bayreuth tätig – die Nachricht von der Verleihung des Chemie-​Nobelpreises an Richard Ernst erhielt, bedeutete das nicht nur für die Forschergemeinschaft, sondern besonders auch für mich eine riesige Freude. Gerne erinnere ich mich auch an eine Seminarwoche im Tessin, zu der Richard Ernst anschliessend alle seine ehemaligen Doktorierenden und Mitarbeiter einlud, um mit ihnen auf die Entwicklungen der entscheidenden Jahre zurückzublicken. Gleichzeitig war es erstaunlich zu erfahren, wie viele unterschiedliche Berufswege die Absolventen der Gruppe gewählt hatten – auch dies ein Zeichen dafür, wie fundiert und breit abgestützt uns Richard Ernst für den Einstieg ins Berufsleben vorbereitet hatte. Auch er selbst stiess in andere Dimensionen des Lebens vor, darunter die klassische Musik und vor allem auch in die tibetanische Kunst. Auf diesem Gebiet entwickelte er sich zu einem profunden Kenner der Mythologie und Symbolik der Wandteppich-​Malereien, der tibetanischen Thangkas.

Mit dem Nobelpreis begann eine neue Periode im Schaffen von Richard Ernst. Diese durch seine herausragenden Leistungen mehr als verdiente Auszeichnung betrachtete er eher als Verpflichtung, die Möglichkeiten der Ausstrahlung für ein Thema zu nutzen, das ihm schon immer am Herzen gelegen war. Mit unermüdlicher Energie widmete er sich in Schriften und Vorträgen der Verantwortung des Wissenschaftlers in der Gesellschaft und der Wichtigkeit des Reflektierens über Sinn und Konsequenzen des eigenen Schaffens. Mit einer intensiven Reisetätigkeit, welche seine Grenzen der physischen Belastbarkeit berührte, trug er diese Ideen an internationalen Tagungen und bei Einladungen an Forschungsinstitutionen auf allen Kontinenten vor. Er setzte sich im universitären System der Schweiz vehement dafür ein, administrative Belastungen klein zu halten und die Freiheit der Wissenschaftler für die Entwicklung neuer, kreativer Ideen zu bewahren.

Gleichzeitig nahm er seine Aufgaben in der Selbstverwaltung der Hochschule sowie als Berater für zahlreiche Gremien sehr ernst und erfüllte sie mit gleicher Sorgfalt wie die wissenschaftliche Arbeit. Nach seiner Emeritierung widmete er sich auch vermehrt seinen kunsthistorischen Interessen, analysierte die in den Thangkas verwendeten Pigmente, engte Ort und Zeit der Entstehung ein und gelangte bis zur Fähigkeit, als Restaurator denjenigen Gemälden, die durch die Alterung schadhaft und stumpf geworden waren, ihre ursprüngliche Ausstrahlung wieder zu verleihen.

Mit Richard Ernst verlieren wir eine vielseitige und engagierte Persönlichkeit, die ausserordentlich grosse Verdienste für die ETH Zürich, die Wissenschaft und die Gesellschaft erworben hat. Seine Leidenschaft für die Chemie und ihre sinnvolle Anwendung zum Nutzen der Gesellschaft wird uns auch nach seinem Ableben ein Vorbild sein.

Dieser Text ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung des Nachworts zur externe Seite Autobiographie von Richard R. Ernst, die im Verlag Hier und Jetzt erschienen ist. Veröffentlichung mit Genehmigung des Verlags

Für weitere Informationen / Fotografien zu Richard Ernst und seiner Autobiograpie, werfen Sie bitte einen Blick auf den Artikel: Der Mann, der Moleküle zu Spionen machte.

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