Die „Women in Natural Sciences“ (WiNS) stellen sich vor
Frauen hatten es in den Naturwissenschaften oft schwer, doch die Zeiten ändern sich. Verbände wie die Women in Natural Sciences am D-CHAB und D-BIOL tragen dazu bei. Ihr Erfolgsrezept lautet alle Geschlechter einbeziehen, Bewusstsein schärfen, Netzwerke stärken, Spass haben. Anlässlich des heutigen Internationalen Tags der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft berichten Seraphine Zhang und Valentina Gasser von WiNS, von Erfahrungen, anstehenden Herausforderungen und grossen Plänen.
Die Society for Women in Natural Sciences (WiNS) steht seit 2014 allen Doktorandinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Departements Chemie und Angewandte Biowissenschaften (D-CHAB) und seit 2022 auch des Departements Biologie (D-BIOL) der ETH Zürich offen. Ziel ist es, Frauen in den Naturwissenschaften zu stärken und auf die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz sowie im Studium hinzuwirken. WiNS möchte eine integrativere und vielfältigere Gemeinschaft an der ETH formen, indem alle involviert und für aktuelle Themen sensibilisiert werden. Die Mehrheit der Veranstaltungen ist daher allen Geschlechtern zugänglich.
Seraphine und Valentina, ihr teilt euch derzeit den Vorsitz bei WiNS. Wie seid ihr zum Verband gekommen?
Seraphine Zhang: Ich habe immer etwas Ehrenamtliches neben meinem Studium gemacht und die Notwendigkeit gesehen, mich für Frauen in der Wissenschaft einzusetzen, weil wir unterrepräsentiert sind. Es ist eine gute Abwechslung zur Forschung. Gerade zu Beginn des Doktorats ist es oft frustrierend. In meinem Fall musste ich mein Projekt erstmal aufbauen. Da ist eine soziale Komponente wichtig. Ich bin über ein Karriere-Event zu WiNS gekommen und habe später einige Events selbst organisiert. Das hat mir Spass gemacht, so kam eines zum anderen.
Valentina Gasser: Bei mir war es auch Zufall. Kolleginnen haben mich zu einem WiNS-Event eingeladen. Zuerst war ich Gast, später habe ich mich freiwillig als Kommunikationsbeauftragte gemeldet. Dass WiNS auf freiwilliger Basis funktioniert, habe ich immer geschätzt. Wenn man mal keine Zeit hat, wird einem das auch nicht übel genommen. Zudem schätze ich WiNS als Plattform, wo man sich mit anderen Frauen austauschen kann, die ebenfalls in der Forschung sind.
Stichwort Forschung. Ihr seid ja in erster Linie Naturwissenschaftlerinnen und promoviert bald – was ist euer Fachgebiet?
Seraphine: Ich arbeite grob gesagt daran heterogene Katalysatoren zu entwickeln, um Methan, die Hauptkomponente von Erdgas, aufzuwerten, indem ich es zu Ethen umsetze. Ethen ist der wichtigste chemische Baustein in der Chemieindustrie ist und wird im Hundert-Millionen-Tonnen-Massstab produziert.
Valentina: Ursprünglich habe ich neue Methoden entwickelt, um organische Reaktionen zu verbessern oder zu ermöglichen. Ich arbeite z.B. an Nickel katalysierten Kreuzkopplungen. Mittlerweile interessieren mich besonders die mechanistischen Hintergründe einer Reaktion. Ich beschäftige mich z.B. auch mit quantenmechanischen Berechnungen.
Früher wurden Frauen in der Forschung oft wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Wie erlebt ihr den Forschungsalltag heute als Wissenschaftlerinnen?
Seraphine: Es gibt im Alltag schon unangebrachte, manchmal sexistische Kommentare und immer noch Vorurteile, also implicit bias. Es fängt mit kleinen Witzchen an, die am Arbeitsplatz nicht angebracht sind. Meist ist keine böse Absicht hinter den Kommentaren und trotzdem kann es verunsichern, wenn du dich gerade versuchst mit etwas Neuem vertraut zu machen und dann heisst es, du bist da als Frau eh nicht stark genug dafür oder nicht geeignet, dies oder jenes zu tun. Ich hantiere z.B. bei meiner Arbeit mit sehr grossen Gasflaschen. Zusätzlich hat man das Gefühl, dass einem bei der Arbeit extra auf die Finger geschaut wird.
Valentina: Ja, unnötige Kommentare sind mir auch schon öfters passiert. Manchmal hab ich das ignoriert, aber seit ich bei WiNS bin, ist mir bewusster geworden, dass gewisse Äusserungen nicht in Ordnung sind. Eine Reaktion darauf ist trotzdem manchmal schwierig, man befindet sich eben doch in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen.
Um solchen Situationen richtig zu begegnen, bietet ihr bei WiNS Workshops und Seminare an. Was ist in den letzten Jahren passiert in diese Richtung?
Valentina: Da gab es einiges, wie man an unserer Galerie auf der Website sehen kann. Wir hatten zum Beispiel einen Workshop zu «The Magic of Saying No» oder einen Workshop zu Implicit Bias, wo man über Rollenspiele herausfinden konnte, wie man am besten in gewissen Situationen reagiert. Ich finde solche Events sehr wichtig, aber gleichzeitig ist es schwierig, das Gelernte zu verinnerlichen. Es braucht Zeit, Übung und Vorbereitung.
Zusätzlich bietet WiNS auch Events an, wo es um Karriereförderung geht. Wen hattet ihr schon zu Gast?
Valentina: Genau, bei unserer Career Series laden wir ungefähr einmal im Monat eine Fachperson aus der Industrie ein. Wir wollen damit einen Einblick in die Berufswelt ermöglichen, derzeit vor allem im Bereich Chemie und Biologie. Wir hatten zum Beispiel schon eine Patentanwältin da, einen CEO von einem Start-up, Wissenschaftlerinnen aus dem Bereich Sustainability Management von BASF oder vom ETH Spin-off Office. Jetzt haben wir mit Sensirion und Bruker auch Ingenieurinnen dabei. Es ist so vielfältig, immer wieder gibt es neue Karrierewege zu entdecken.
Das klingt nach einer breiten Palette, aber am Ende darf bei WiNS auch der Spass nicht fehlen. Wie man auf der Website sieht, gibt es auch soziale Events…
Seraphine: Ja, derzeit ist bei uns alles am Wachsen. Was mich gewundert hat ist, wie gross der Bedarf der Community ist. Wir haben zum Beispiel eine Pizzaparty gemacht. Da hatten wir so viele Anmeldungen, dass wir die Anmeldung schliessen mussten. Ich habe wahnsinnig viele gute Rückmeldungen bekommen. Leider haben wir nicht so viele Events zum reinen networken...
Valentina: …auch weil wir das Budget nicht haben. Wir sind von den Departementen direkt finanziert und das reicht nicht, um neben Workshops auch noch soziale Events zu finanzieren. Gleichzeitig sind solche Events aber trotzdem wichtig, um das Netzwerk zu vergrössern und um unseren Freiwilligen etwas zurückzugeben. Wir machen das ja alles ehrenamtlich. Zudem sind informelle Anlässe eine gute Gelegenheit, um neue Mitglieder kennenzulernen, einfach Spass zu haben und sich mit anderen Frauen auszutauschen.
Aber eure Veranstaltungen sind für alle zugänglich, oder?
Valentina: Das stimmt, die Mehrheit der Events ist für alle Geschlechter offen und das ist uns sehr wichtig. Wir wollen, dass alle Interessierten von unseren talentierten Referenten und Referentinnen profitieren können. Gleichzeitig stehen wir für Gleichberechtigung, für Chancengleichheit. Und deswegen wollen wir mit allen Involvierten das Gespräch aufrechterhalten, auch wenn es bisweilen schwierig ist, manche Leute davon zu überzeugen, dass bei gewissen Dingen noch Handlungsbedarf besteht.
Kürzlich habt ihr ja auch eine Open Letter formuliert an die Schulleitung. Wo seht ihr z.B. an der ETH noch Aufholbedarf?
Seraphine: Wir plädieren z.B. für ein verpflichtendes Diversity and Sexual Harassment Awareness Training. Es gab zwar ein Modul, aber es war freiwillig und online. Es sollte jedoch obligatorisch und nach Möglichkeit in persona stattfinden für jede Person, die neu an die ETH kommt. In vielen Firmen ist das bereits üblich. Der zweite Punkt betrifft das Parity Hiring: 50 Prozent der neuen Professoren sollten Frauen sein. Das scheint zwar schon der Plan, aber irgendwie funktioniert das noch nicht so richtig. Vielleicht müsste die ETH schneller bei den Zusagen sein. Ein letzter zentraler Punkt ist die anonyme Dokumentation von Vorfällen. Häufig ist es so, dass bei Einzelfällen Wort gegen Wort steht. Die Idee ist also, dass man Berichte zentralisiert sammelt und dann eventuell mit einer internen Untersuchung darauf reagieren kann. Derzeit ist es häufig schwierig Beschwerde einzureichen, wenn man sich noch in einem Angestelltenverhältnis befindet – da gibt es allerlei Abhängigkeiten. Ist man nicht mehr angestellt, ist es wiederum zu spät. Da muss man noch Lösungen finden.
Was ist euer Wunsch für die Zukunft?
Valentina: Ich wünsche mir im akademischen Umfeld der ETH noch mehr Bewusstsein dafür, wie vorteilhaft eine ausgeglichene Repräsentation von Frauen und Männern in der Forschung und in Veranstaltungen ist. Schlussendlich führt das insgesamt zu einer besseren Forschung. Die Anstrengungen unserer lokalen Organisationen am D-CHAB sollten auch mehr als Chance erkannt werden, zusammenzuarbeiten und ein inklusives Umfeld für alle zu fördern. Es braucht zudem mehr Ansporn, um sich für Gleichberechtigung einzusetzen. Die Beschäftigung mit diesen Themen müsste man mehr honorieren, auch auf Professorenebene und in jedem Departement. Das haben wir vorgeschlagen, dafür müssten aber die Ressourcen erhöht werden. Ein Herzenswunsch von mir wäre noch, dass WiNS es künftig schafft, auch Schülerinnen anzusprechen, vielleicht mit einem speziellen Schülerinnentag.
Seraphine: Ich bin super zufrieden damit wie viel Impuls WiNS momentan generiert. Bei unseren Events kommen Leute zusammen, lernen etwas Neues und haben Spass. Wir haben gut laufende Career Events, wo sich Leute direkt nachher bei der Firma bewerben. Ich muss sagen, ich habe einen positiven Blick auf die Zukunft. Es hat eine Weile gedauert, aber jetzt habe ich das Gefühl, es kommt ins Rollen. Mittlerweile generiert es ja fast ein schlechtes Image, wenn man sich nicht um Diversität kümmert. Ich freue mich, wenn wir mit unserer Open Letter etwas bewirken können und glaube, unsere neuen Nachfolgerinnen werden das super machen. Ich hoffe sie können das, was wir bisher geschafft haben, weiterführen und natürlich hoffen wir auf viele weitere Mitglieder für WiNS.
Seraphine Zhang stammt aus Freiburg in Baden-Württemberg, hat chinesische Wurzeln und beendet bald ihr Doktorat im Laboratorium für Anorganische Chemie. Sie hinterfragt gerne wissenschaftliche und gesellschaftliche Normen und lässt sich dabei von Kunst und Philosophie inspirieren. Weitere Hobbys sind Tennis, Tauchen, Kickboxen, Konditorei und Molekulargastronomie.
Valentina Gasser ist Schweizerin, hat aber auch italienische und peruanische Wurzeln. Sie beendet bald ihr Doktorat im Laboratorium für organische Chemie. In ihrer Freizeit experimentiert sie gerne mit Web- und Grafikdesign. Sie ist eine begeisterte Musikliebhaberin.
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