Eine Biofabrik für Naturstoffe
Amy Fraley taucht tief in die Natur ein, um ihre Komplexität zu erfassen – buchstäblich als passionierte Taucherin, aber auch als Chemikerin im Labor. Mit ihrem Team durchstreift die neue Assistenzprofessorin für Medizinische Chemie die Reiche der Lebewesen auf der Suche nach neuen Biosynthesestrategien für die Herstellung von Therapeutika. Finden tut sie sie überall: von Mikroorganismen in Fledermausmist und marinen Schwämmen bis hin zu unscheinbaren Pflanzen.
Gespenstisch, aber belebend. So fühlt es sich für Amy Fraley an, wenn sie im kalten Wasser tief zu einem Schiffswrack taucht, nur den eigenen Herzschlag und Atem im Ohr. Manchmal geschieht dies aus Spass, manchmal aus wissenschaftlicher Neugier heraus.
Die Assistenzprofessorin für medizinische Chemie am D-CHAB ist am Verborgenen interessiert, ob zu Wasser oder an Land. Im Fokus stehen unbeachtete Mikroorganismen und Pflanzen, die Enzyme und biologisch aktive Stoffe mit erstaunlichen Eigenschaften hervorbringen. Mit ihrer Gruppe möchte Fraley solche Verbindungen erforschen und ergründen, wie sie sich nachhaltig produzieren, verbessern und nutzen lassen: als Therapeutika oder Sonden, um Krankheitsmechanismen besser zu verstehen.
«Mein Ziel ist es "Biofabriken" für diese komplexen Moleküle zu etablieren. Dafür bringen wir zum Beispiel alle nötigen Gene in einen kultivierbaren Organismus ein und nutzen diesen, um das finale Produkt im Labor herzustellen.»Prof. Amy Fraley
Anreiz für diese grossen Pläne war ein kleiner Organismus. Als Bachelorstudentin entdeckte die Basketball- und Yoga-begeisterte Pennsylvanierin ihre Passion fürs Tauchen: «Damals untersuchten wir im Labor, wie sich chemische Signale auf die vertikale Wanderung von Zooplankton auswirken. Bei meinen Tauchgängen konnte ich dieses Phänomen in freier Wildbahn beobachten, sozusagen buchstäblich in die Forschung eintauchen. Diese Faszination hat mich während meiner ganzen Laufbahn begleitet: Ich habe kleine, oft übersehene Organismen untersucht, und ihr grosses Potenzial kennen gelernt.»
Mit Pilzen gegen Herz-Kreislauferkrankungen
Ihre Studienobjekte findet Amy Fraley seitdem in allen Reichen der Lebewesen – vor allem dort, wo kaum einer hinsieht. An der University of Michigan forschte sie an einem bioaktiven Pilz, der in einer Höhle auf Fledermausmist entdeckt wurde. Während eines studentischen Chalk Talks*, erkannten Fraley und ein Kollege das Potenzial der vom Pilz produzierten Naturstoffe (z.B. Malbrancheamide): Sie nutzten diese, um einen Proteinkomplex zu untersuchen, der bei Herz-Kreislauferkrankungen eine wichtige Rolle spielt. *Präsentation mit Kreide an einer Tafel
Auf diese Weise konnten sie die Protein-Protein-Wechselwirkungen zwischen zwei Schlüsselakteuren bei Herzhypertrophie, einer krankhaften Verdickung des Herzmuskels, genauer beschreiben (Beyett et al. 2019). Darüber hinaus konnten die beiden Forschenden zeigen, dass die Substanz eine Hyperthropie blockieren kann und insofern therapeutisches Potenzial besitzt.
"Der Erfolg dieses studentischen Projekts war ein entscheidender Meilenstein in meiner akademischen Laufbahn. Indem wir eine unabhängige Finanzierung und damit freie Hand für dieses risikante Projekt erhielten, war es uns möglich, eine innovative Methode zu erforschen, mit der sich Herzinsuffizienz untersuchen lässt", erklärt Fraley. Das Suchen nach neuen Perspektiven und kreatives Denken möchte Fraley künftig auch in ihrer eigenen Forschungsgruppe fördern.
Marines Leben als Wirkstoffquelle
Molekulare Schätze finden sich aber nicht nur in aussergewöhnlichen Pilzen auf Fledemaus-Exkrementen. Während ihres Postdocs am Institut für Mikrobiologie an der ETH Zürich forschte Fraley an zelltoxischen Substanzen, die von Bakterien erzeugt werden, die in Symbiose mit marinen Schwämmen leben. Sogenannte Oocydin-Polyketide z.B. verfügen unter anderem über nützliche Antitumoreigenschaften.
Diese Naturstoffe werden durch Polyketidsynthasen hergestellt: Megaenzyme, die Polyketide auf fliessbandartige Weise produzieren. Unter der Leitung von Amy Fraley gelang es Forschenden der Piel-Gruppe zwei neue Komponenten dieses Komplexes charakterisieren. Sie konnten nachweisen, dass diese Komponenten das wachsende Polyketid modifizieren können, indem sie beispielsweise Acylgruppen anhängen oder Halogene in die Verbindung einführen. Die Strukturen der Proteine lieferten wertvolle Erkenntnisse für das Design von Biokatalysatoren (Fraley et al. 2022, Fraley et al. 2023).
Auf dem Weg zur Biofabrik
Der Chemikerin geht es aber nicht nur um das Auffinden, Charakterisieren und Optimieren von Wirkstoffen, sondern auch um deren nachhaltige Herstellung. Dies wird bei ihren aktuellen Projekten deutlich. Am D-CHAB möchte sie mit ihrem wachsenden Team zunächst pflanzliche Naturstoffe untersuchen, die auf neurologische Krankheitsmechanismen abzielen.
«Bioaktive Naturprodukte aus Pflanzen sind oft schwer zugänglich», erklärt Fraley. «Um die natürlichen Bestände zu schonen, wollen wir modifizierte Organismen in unserem Labor kultivieren. Diese sollen über den nötigen Stoffwechselweg verfügen, um die gewünschten Verbindungen herzustellen – natürliche Biofabriken anstatt reiner künstlicher Synthese. Das ist nachhaltiger, weil kaum schädliche Abfallprodukte entstehen, aber auch eine Herausforderung, da die Stoffwechselwege für pflanzliche Naturstoffe weniger erforscht sind» räumt Fraley ein.
Let's chalk talk!
Die Komplexität der Natur will die Assistenzprofessorin auch ihren Studierenden näherbringen. Bereits in früheren Jahren engagierte sie sich bei Outreach-Projekten und entwickelte zwei Praxiskurse. « In den Pharmazeutischen Wissenschaften werden viele Studierende mit natürlichen Extrakten zu tun haben. Sie sollten verstehen, was die Produktion bioaktiver Verbindungen reguliert», betont Fraley, «aber am Ende geht es nicht nur um die Wissenschaft, sondern auch darum, wie man sie vermittelt.“ So werden auch Chalk Talks Teil von Fraleys Lehrmethoden sein und als Kommunikationsmethode Anwendung in ihrer Gruppe finden.
Insgesamt hofft Amy Fraley ihren Studierenden dieselbe Stütze zu sein, wie es ihre Mentoren David Sherman, Janet Smith und Jörn Piel für sie gewesen waren. „Ich möchte die Studierenden motivieren und befähigen, grosse Dinge zu erreichen. Bezüglich Forschung bin ich begeistert von den Projekten und werde auch als Professorin meinen Laborplatz behalten. Ich werde immer wieder vorbeischauen, um mit den Leuten zu plaudern und zu hören, wie die Dinge laufen, auch um sicherstellen, dass wir ein positives Umfeld aufrechterhalten."
Das Rezept für die eigene positive Haltung scheint Fraley jedenfalls gefunden zu haben – sei es entspanntes Körbewerfen oder ein Tauchgang zwischen tanzendem Zooplankton, der daran erinnert, wie viel unentdecktes Grosses in kleinsten Lebensformen steckt.
Amy Fraley schloss 2014 ihren Chemie-Bachelor an der Millersville University of Pennsylvania ab. 2019 promovierte sie an der University of Michigan College of Pharmacy in medizinischer Chemie und arbeitete in den Labors von Prof. David Sherman und Prof. Janet Smith. Danach wechselte sie als Postdoktorandin an das Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich in das Labor von Prof. Jörn Piel. Seit 2024 ist sie Assistenzprofessorin für Medizinische Chemie am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften im D-CHAB der ETH Zürich. Amy Fraley hat bereits Kurse für Studierende entwickelt, sowohl an der University of Michigan ("Pharmaceutical Discovery from Cyanobacteria") als auch am Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich ("Pharmaceutical Discovery from Microbial Communities"), und im Laufe ihrer Karriere mehrere Preise erhalten.
Einführungsvorlesung - Amy Fraley
Sustainable Chemistry Inspired by Nature
Datum: 18. Sept. 2024
Zeit: 17.15 Uhr
Ort: ETH Hauptgebäude, F 30 (Auditorium Maximum)
Livestream: https://vimeo.com/event/472889/66a4c00a56
Download Flyer (PDF, 328 KB)
Weitere Informationen
Beyett T.S., Fraley A.E., Labudde E., Patra D., Coleman R.C., Eguchi A., Glukhova A., Chen Q., Williams R.M., Koch W.J., Sherman D.H., Tesmer J.J.G. (2019): Perturbation of the interactions of calmodulin with GRK5 using a natural product chemical probe. Proc Natl Acad Sci U S A. ;116(32):15895-15900. doi: externe Seite 10.1073/pnas.1818547116.
Fraley A.E., Dieterich C.L., Mabesoone M. F. J. , Minas H. A., Meoded R.A., Hemmerling F., Piel J. (2022): Structure of a Promiscuous Thioesterase Domain Responsible for Branching Acylation in Polyketide Biosynthesis. Angew Chem Int Ed Engl. 61(39):e202206385. doi: externe Seite 10.1002/anie.202206385
Fraley A.E., Dell M., Schmalhofer, M., Meoded R.A., Bergande C., Groll M., Piel J. (2023): Heterocomplex structure of a polyketide synthase component involved in modular backbone halogenation. Structure. externe Seite doi:10.1016/j.str.2023.02.010