Rezept zum Bau und Recycling von Kunststoff
Kunststoffe, also künstliche Polymere, sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und doch bereiten sie uns heute grosse Probleme. Athina Anastasaki und ihr Team haben entdeckt, wie sich die Beschaffenheit der Polymere genau kontrollieren lässt und wie man Polymere effizient recyclen kann – Erkenntnisse, die auch für die Industrie wertvoll sind. Dafür erhält Athina Anastasaki (D-MATL) am 19. Dezember den Ruzicka Preis 2022. Hier gewährt sie Einblicke in das spannende Feld der Polymerchemie.
„Wussten Sie, dass Plastiktüten erfunden wurden, um die Erde zu retten? Ich erzähle die Geschichte oft meinen Studierenden“, sagt Assistenzprofessorin Athina Anastasaki hinterm Schreibtisch sitzend, „man sagt, Sten Gustaf Thulin hatte die leichten, langlebigen Beutel erfunden, um zu verhindern, dass noch mehr Bäume für Papiertüten abgeholzt werden. Seine Idee bestand darin, die Tüten wiederzuverwenden.“ Sie seien allerdings so billig und schnell produzierbar gewesen, dass sie zum Wegwerfprodukt avancierten. Das ist Teil unseres heutigen Plastikproblems.
„Oft gibt es die richtige Entdeckung, aber dann lernen wir nicht sie richtig zu nutzen“, resümiert die 34-jährige Griechin mit ihrer direkten Art, „andererseits wird es eine Zukunft ohne Kunststoff, ohne künstliche Polymere auch nicht geben. Sie finden sich in fast allen Alltagsobjekten, vom Auto bis zur Zahnbürste.“ Nun gehe es darum ein Gleichgewicht zu finden und Lösungen zu entwickeln, wie wir Polymere gezielter konstruieren sowie effizient dekonstruieren und recyceln können, erklärt Anastasaki, „das ist mein Job, daran forschen wir.“
Lerne die Zutaten kennen und hinterfrage Methoden
Kunststoffe bestehen aus „künstlichen“ Polymeren, also langen Molekülketten. Diese werden durch Polymerchemie aus molekularen Bausteinen (Monomeren) zusammengesetzt. Die Herstellung von Kunststoffen mit bestimmten Eigenschaften – z.B. hinsichtlich ihrer Formbarkeit – erfordert jedoch Polymere unterschiedlicher Länge und Einheitlichkeit. Wie einheitlich diese Ketten sind, wird durch die Dispersität gemessen. Sie ist massgeblich für die Eigenschaften eines Materials. Insofern ist es wichtig, sie kontrollieren zu können. Lange wusste man aber nicht wie, was auch an einem Irrglauben bei den bisher eingesetzten Methoden lag.
„Die meisten Polymere werden über freie radikalische Polymerisation hergestellt“, erklärt Anastasaki. Dabei entsteht auf unkontrollierte Weise ein Gemisch aus uneinheitlichen, verschieden langen Polymerketten, welches eine hohe Dispersität aufweist. Die Methode hat ihre Vorteile, ist aber dadurch limitiert, dass die Ketten „tote“ Enden haben, welche nicht verändert werden können.“ Genau definierte Polymere lassen sich so nicht herstellen. Ein wichtiger Fortschritt wurde durch die kontrollierte radikalische Polymerisation erreicht: dabei entsteht ein einheitlicheres Polymergemisch (niedrige Dispersität), mit „lebenden“ Kettenenden, die sich weiterhin verändern lassen.
Um gezielt Materialien herstellen zu können benötigt man aber je nachdem sowohl hohe als auch niedere Dispersitäten. „Und da gab es lange einen Irrglauben – man dachte freie radikalische Polymerisation bedeutet immer hohe Dispersität und tote Enden, kontrollierte radikalische Polymerisation niedere Dispersität mit lebenden Enden – das sagte die Literatur und oft nenne ich diese Kriterien noch den Bachelorstudierenden. Im Master erkläre ich aber, dass wir das revidieren konnten – auf diese Entdeckung bin ich besonders stolz.“
Lerne Polymerketten vollständig zu kontrollieren
Athina Anastasaki und ihrem Team gelang es, die Dispersität von Polymermaterialien vollständig zu kontrollieren: Sie fand Wege, die Dispersität ähnlich wie bei der freien radikalischen Polymerisation zu erhöhen, ohne die Lebendigkeit der Enden zu opfern – das gelang über die Regulierung der Katalysatorkonzentration oder durch gleichzeitige Einführung zweier Agenzien mit unterschiedlicher Reaktivität. Zudem nutzte Anastasaki die Chemie eines schaltbaren RAFT-Agens (Reversible addition−fragmentation chain-transfer Agents), um sowohl die Dispersität als auch die Sequenz bei der Synthese hochkomplexer Multiblock-Copolymere zu steuern – also von Polymerblöcken aus zwei oder mehreren Monomerspezies.
„Dabei ändern wir die Reaktivität des RAFT-Agens und zwar durch Zugabe von Säuren oder Basen. Das wirkt wie ein Schalter: Ist das RAFT-Agens protoniert, erhält man eine niedrige Dispersion, ohne Protonierung erhält man eine hohe Dispersion – aber es ändert nur, wie schnell oder langsam die Polymerketten wachsen. Das bedeutet, es hat keinen Einfluss auf die Lebendigkeit der Polymerenden und eröffnet so neue Möglichkeiten.“
Finde Lösungen, um Polymere zu dekonstruieren
Allerdings sind die schaltbaren RAFT-Agenzien relativ teuer – ein Gramm entspricht etwa 100 CHF – und daher für die Industrie noch nicht attraktiv. Zudem muss sich auch die Polymerchemie in Richtung einer nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft bewegen, was zu einer weiteren wichtigen Entdeckung von Professor Anastasaki führte: Sie entwickelte mit ihrem Team unter anderem eine Methode zur Dekonstruktion von Polymeren und konnte die Ausgangsmonomere von Plexiglas (Polymethylmethacrylat) ohne Qualitätsverlust bis zu 90 % und das teure RAFT-Agenz bis zu 55 % regenerieren. Ist erstmal die hundertprozentige Ausbeute erreicht, könnte kostensparendes chemisches Recycling möglich sein. Zudem würde es die Methode erlauben, die Eigenschaften des ursprünglichen Polymers zu verändern und ein neues Material zu schaffen.
„Wir nutzen die Thermodynamik. Wenn man ein Material erhitzt und es schafft ein aktives Kettenende zu haben, also ein Radikal zu bilden, besteht die Chance, dass sich eine Reaktion umkehrt“ erläutert Anastasaki. „Das Problem war, dass bei der gängigen freien radikalischen Polymerisation das Ende der Polymere nicht aktiv ist, es ist schwierig zu spalten. Man benötigt dafür in der Industrie derzeit bis zu 400 Grad, was nicht sehr energiefreundlich ist. Ausserdem zerstört man dabei einen Teil der Monomere, die man wiedergewinnen will. Wir entdeckten, dass wir aktive Kettenenden bei wesentlich niedrigeren Temperaturen spalten können: bei 120 Grad – eine deutliche Verbesserung.“
Strebe nach breiter Anwendung und gib Erkenntnisse weiter
Für diese Erkenntnisse hat Athina Anastasaki nun den Ruzicka-Preis erhalten. „Ich bin sehr geehrt und dankbar, weil dieser Preis einem sehr inspirierenden Wissenschaftler gewidmet ist. Zudem ist es eine Besonderheit, einen Chemiepreis zu erhalten: Jemand musste unsere Entdeckungen in der gesamten Chemie und nicht nur in der Polymerchemie anerkennen. Das ist eine grosse Ehre.“
Künftig möchte Athina Anastasaki ihre Methoden optimieren und die Erkenntnisse auch auf andere Polymerklassen und Bereiche übertragen – z.B. aktuell auf mRNA-Impfungen, die durch spezielle Polymerhüllen besser stabilisiert werden könnten. Sie hofft mit ihren grundlegenden Studien der Industrie neue Möglichkeiten aufzuzeigen – und nicht zuletzt ihren Studierenden bessere Einblicke in die Polymerchemie zu ermöglichen.
„Meine Aufgabe als Forscherin und Lehrende ist es auch, meinen Studierenden zu helfen, mich und die Lehrbücher zu hinterfragen“, sagt Anastasaki, die 2021 die Goldene Eule für exzellente Lehre gewann. „Als Doktorandin habe ich meine erste Entdeckung x-Mal in die Tonne getreten, nur weil ich dachte, die Ergebnisse wären nicht brauchbar. Am Ende war es eine Entdeckung, die zu einer Publikation führte. Ich ermutige die Studierenden daher, immer genau zu beobachten und Ungewöhnliches zu diskutieren." So entstünden Evolution bzw. Fortschritt. Letztlich gilt es die Motivation nicht nur für künftige Entdeckungen wecken, sondern auch dafür, zu lernen, wie man bestehende Entdeckungen nachhaltig nutzt, damit Fehler wie der mit der Plastiktüte nicht wiederholt werden.
Athina Anastasaki (*1988) stammt aus Kreta, Griechenland. Es war das Engagement der Lehrenden, welches sie für Polymerchemie begeisterte. Bereits als Studierende in Athen publizierte sie eine erste Forschungsarbeit bei Prof. Marinos Pitsikalis und tauschte dann die sonnigen Gefilde Griechenlands gegen das unstete Wetter Warwicks (England) ein, wo sie ihr Doktorat bei Prof. Dave Haddleton 2014 mit dem Jon Weaver Award für die beste Doktorarbeit in Polymerchemie abschloss. Sie erhielt ein Elings Fellowship, gefolgt von einem Global Marie Curie Fellowship, welches sie nutzte, um mit Prof. Craig Hawker an der University of California, Santa Barbara zu forschen. Seit Januar 2019 ist Athina Anastasaki Assistenzprofessorin am Departement für Materialwissenschaften der ETH Zürich.
Ruzicka Preisverleihung 2022
an Prof. Dr. Athina Anastasaki, für ihre Arbeiten zu:
Constructing and Deconstructing Polymers made by Controlled Radical Polymerization
19. Dezember 2022, 17-18 Uhr, HCI, Saal G3, Hönggerberg
Begrüssung – Prof. Dr. Erick M. Carreira (D-CHAB, ETH Zurich)
Laudatio – Prof. Dr. Nicola Spaldin (D-MATL, ETH Zurich)
Lecture – Prof. Dr. Athina Anastasaki (D-MATL, ETH Zurich)
Preisvergabe – Dr. Olivier Haefliger (Firmenich)
Der Ruzicka Preis 2022 wird gesponsert von Firmenich.
Weitere Information
Antonopoulou, MN., Whitfield, R., Truong, N.P. et al. Concurrent control over sequence and dispersity in multiblock copolymers. Nat. Chem. 14, 304–312 (2022). externe Seite https://doi.org/10.1038/s41557-021-00818-8
Hyun Suk Wang, Nghia P. Truong, Zhipeng Pei, Michelle L. Coote, and Athina Anastasaki. Reversing RAFT Polymerization: Near-Quantitative Monomer Generation Via a Catalyst-Free Depolymerization Approach. Journal of the American Chemical Society 2022 144 (10), 4678-4684 externe Seite doi: 10.1021/jacs.2c00963
Verteilung der Kettenlängen von Polymeren gezielt einstellen