Wie man wirksame Naturstoffe baut

Karl-Heinz Altmann hat sein Handwerk als organischer Synthesechemiker an der Universität gelernt, in der Industrie verfeinert und in der Academia perfektioniert. Bis heute baut er chemisch nach, was die Natur als wirksame Vorlage liefert und versucht so Grundlagen für neue Medikamente und Arzneistoffe zu schaffen. Nach 19 Jahren an der ETH Zürich ist er in den Ruhestand gegangen und blickt zurück auf glückliche Umwege, marine Schätze und gewöhnungsbedürftige Freiheiten.

„Was ich abseits des Labors mache?“, Karl Heinz Altmann lacht überrascht. Naja, er sei zwar Fussball-Fan und man sei mit Frau und Kindern bisweilen auf Reisen oder in den Bergen unterwegs, „aber abgesehen davon habe ich für richtige Hobbies nie Zeit gehabt“, überlegt er und wirkt keineswegs betrübt. Karl Heinz Altmann, ursprünglich Organiker in der Industrie, seit 2003 Professor am D-CHAB für Pharmazeutische Biologie, zweimaliger Departementsleiter, dazwischen Studiendelegierter und nun emeritiert, hat seine Passion zum Beruf gemacht: forschen – bevorzugt an der Synthese von Naturstoffen gegen Krebs, Tuberkulose und anderen Geiseln der Menschheit. „Aber dahin war es ein verschlungener Weg“, gesteht er.

Vom Peptid- zum Naturstoffchemiker

Begonnen habe alles mit Peptidchemie, „und die hat mich regelrecht verfolgt“ bemerkt er augenzwinkernd. „Bis zum Postdoc hatte ich daran geforscht, obwohl ich längst allgemeine organische Synthese machen wollte. Aber damals kam man anders zu seinen Stellen als heute. Mein Doktorvater hatte mich als Postdoc an die Cornell geschickt, auf meine Bedingung hin gemeinsam mit meiner Frau. Sie ist auch Chemikerin. Wir sind also hin und da hat sich das mit den Peptiden so ergeben.“ Geplant war schon damals eine akademische Karriere. Aus dem Habilitationsangebot bei seinem Doktorvater in Berlin wurde allerdings nichts. „Er zog plötzlich nach Lausanne und das Angebot war vom Tisch. Das hat mich erstmal aus der Bahn geworfen“, gibt Altmann zu.

Das Paar ging trotzdem für eine Weile nach Lausanne und landete am Ende in Basel – „wo ich noch immer ausschliesslich als Peptidchemiker wahrgenommen wurde“, erinnert sich Altmann. Andere Angebote gab es schlicht nicht - mit einer Ausnahme: ein Angebot der Zentralen Forschungslaboratorien der Ciba-Geigy. Dieses eröffnete schliesslich die Möglichkeit zur organischen Synthese und später zur Naturstoffsynthese, aufgrund eines glücklichen Zufalls: Altmann lehnte 1996 die Beförderung zum Abteilungsleiter ab. „Ich fühlte mich nicht bereit dafür, haderte aber mit meiner Entscheidung. Zwei Wochen später allerdings fusionierte Ciba mit Sandoz zu Novartis und da ich nicht als Abteilungsleiter für eine grössere Zahl Mitarbeiter verantwortlich war, konnte ich frei in die Onkologie von Novartis wechseln und die nächsten vier Jahre als Projektleiter Naturstoffprojekte durchführen.“

Karl-Heinz Altmann bei der Tony Holy Lecture in Prag.
Karl-Heinz Altmann als Sprecher bei der Tony Holy Lecture 2022 in Prag zu "Total Synthesis and Functional Exploration of Macrocyclic Natural Products" (Foto: IOCB Prague).

Der Schritt in die Academia

Den Naturstoffen blieb Karl-Heinz Altmann auch als Novartis Senior Chemistry Expert treu. In dieser Funktion kam er der ETH Zürich näher: „Ich war Mitglied einer ETH-Berufungskommission und lernte dort Dario Neri kennen, der mich nach einer Kommissionssitzung ansprach. Er sagte, er kenne meine Publikationen und fragte, ob ich mir vorstellen könnte an die ETH zu kommen. Ich sagte "ja", dachte aber nie, dass daraus eine Bewerbung und Berufung zum Professor für Pharmazeutische Biologie werden würde“, meint Altmann lachend. Letztlich habe ihn die Aussicht, frei forschen und lehren zu können, zu dem Schritt motiviert, obwohl die Entscheidung Novartis zu verlassen nicht einfach gewesen sei.

An der ETH beschäftigte sich seine Gruppe dann mit der Totalsynthese von Naturstoffen mit antitumoraler und antibakterieller Aktivität, Mycolactonen und Buruli Ulcer sowie mit Forschung zu Membrantransportern. „Der grösste Bereich ist aber die Totalsynthese von Naturstoffen bzw. Naturstoff-Analoga und Untersuchungen zu Struktur-Aktivitäts-Beziehungen von Naturstoffen, die einen Effekt auf das Krebszellwachstum haben oder auf den Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis“, erklärt Altmann.

Altmann Laborgruppe, Skiausflug März 2022
Karl-Heinz Altmann's Laborgruppe, Skiausflug März 2022 (Foto: Karl-Heinz Altmann)

Totalsynthese von Naturstoffen

Klassisch bezeichnet man als Totalsynthese die Synthese, also den Zusammenbau eines Naturstoffes aus leicht verfügbaren Ausgangsverbindungen und Bausteinen. „Bei unseren Arbeiten zur Totalsynthese standen immer Naturstoffe mit vielversprechender biologischer Aktivität im Zentrum. Eine komplexe molekulare Architektur allein, auch wenn noch so faszinierend and ästhetisch, war für mich nicht ausreichend," sagt Altmann.

„Dass ein komplexer Naturstoff synthetisiert wird, um ihn direkt als Medikament zu vertreiben ist allerdings selten“, gibt er zu bedenken. "Die Produktion aus natürlichen Quellen lässt sich oft so weit optimieren, dass man keine Synthese braucht. Ausserdem sind Naturstoffe per se oft keine idealen Arzneistoffe, weil sie labil, schlecht löslich oder toxisch sein können,“ erklärt er. "Aus diesem Grund haben wir immer auch an der Synthese von Natustoffanaloga gearbeitet, die leichter zugänglich sind – natürlich müssen solche Verbindungen immer noch die gewünschten pharmakologischen und biopharmazeutischen Eigenschaften mitbringen."  

Mit Schwämmen gegen Krebs

Altmanns Gruppe hat sich auch mit der Synthese von Naturstoffen aus marinen Organismen beschäftigt, wie z.B. Schwämmen. Solche Stoffe treten in den produzierenden Organismen oft nur in geringen Mengen auf können nur aufwendig geerntet werden. „Zum Beispiel muss man für das Discodermolid aus dem Schwamm Discodermia dissoluta etwa 200 Meter tief mit dem U-Boot tauchen“, ergänzt Altmann. "Unter solchen Rahmenbedingungen, wird die Totalsynthese natürlich eine echte Option für die Wirkstoffentwicklung, zumindest in Therapiegebieten wie der Onkologie, wo besonders hohe Gewinnmargen möglich sind."

Stereoselective assembly of the C20 stereocenter in zampanolide.
Stereoselektiver Aufbau des C20-Stereocenters in Zampanolid (Visual: Brütsch et al. 2020)
Tubulin-Zampa- und Tubulin-EpoA-Komplexstrukturen (Visualisierung: Prota et al. 2013).
Tubulin-Zampa- und Tubulin-EpoA-Komplexstrukturen (Visualisierung: Prota et al. 2013).

In Bezug auf seine eigenen Arbeiten zu marinen Naturstoffen sei er besonders stolz auf die Projekte zum Tubulinhemmer Zampanolid, einem marinen Naturstoff aus dem Schwamm Fasciospongia rimosa. „Unsere Totalsynthese des Zampanolids hat einen wesentlichen Beitrag zur Klärung grundlegender Fragen der Biochemie, Zellbiologie und Strukturbiologie von Mikrotubuli geliefert. Zum Beispiel führte unsere Zusammenarbeit mit einer Gruppe am PSI zur allerersten hochaufgelösten Röntgenstruktur eines Tubulinkomplexes mit einer Substanz, die Mikrotubuli stabilisieren kann,“, freut sich Altmann.

Tubulinhemmer bilden eine wichtige Klasse von Krebsmedikamenten. Der wichtigste Vertreter nennt sich Taxol®. Allerdings weisen sie auch erhebliche Nebenwirkungen auf. Aus diesem Grund werden solche Hemmer in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit der Kopplung an krebsspezifische Antikörper untersucht. "Aber wir sind keine Arzneimittelentwickler. Unsere Forschung bildet die Basis für die Entdeckung neuer Arzneistoffe. Wer Medikamente bis zur Marktreife entwickeln will, ist meistens in der Industrie besser aufgehoben.“

Grosse Freiheit, grosse Herausforderung

Ob er den Schritt in die akademische Lehre und Forschung je bereut hat? Nie, sagt Altmann, obgleich er Anpassung erforderte. „Als Professor geniesst man auf allen Ebenen grosse Freiheiten. Das kannte ich so nicht. Anfangs hatte ich zum Beispiel das Gefühl, ich müsse es der Institutsvorsteherin melden, wenn ich einen Tag nicht da bin. Musste ich natürlich nicht, dafür musste ich nun auch Drittmittel einwerben und mich daran gewöhnen, dass diese Mittel nicht automatisch weiterliefen, wenn die Förderperiode zu Ende war.“

Zudem galt es in diverse Ämter ausserhalb der eigenen Forschung und Lehre hineinzuwachsen. Als Studiendelegierter hatte Altmann 2009 das Reglement des Masterstudiengangs Pharmazeutische Wissenschaften im grossen Stil zu revidieren und 2011 die Akkreditierung des Curriculums durch den Schweizerischen Akkreditierunsrat vorzubereiten – „ein spannender, aber fordernder Prozess“, erinnert sich Altmann.

Gleiches gilt für seine Zeit als Departementsvorsteher, die er als spannend aber auch als sehr stressig empfunden hat. Altmanns Amtszeiten fielen zusammen mit einer Administrativuntersuchung und ETH-weiten Budgetproblemen. "Dass ich aber bei der Einstellung talentierter junger Kolleg:innen mitwirken konnte, hat das alles mehr als kompensiert. So konnte ich einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Weiterentwicklung des Departements leisten."  

Seit dem Sommer 2022 ist Prof. Karl Heinz Altmann nun emeritiert, bleibt aber seiner Forschungspassion treu: als Berater in wissenschaftlichen Gremien, aber auch als gewählte Vertrauensperson der ETH Zürich. Als solche wird er sich bis 2026 für die Einhaltung der wissenschaftlichen Integrität einsetzen.

«Die ETH ist eine tolle Hochschule mit hervorragenden Bedingungen für Spitzenforschung - selbst, wenn ich mir mehr Besinnung auf die Kernaufgaben Lehre und Forschung wünschen würde und weniger Bürokratie. Klar jammern wir auf hohem Niveau, aber man muss schon drauf achten, dass man sich nicht zu viel selbst auf die Schulter klopft und darüber den Anschluss verliert.»
Karl-Heinz Altmann

Weitere Informationen

C.P. Bold; D. Lucena-Agell, M. A. Oliva, María Ángela; Díaz, José Fernando; K.-H. Altmann. Synthesis and Biological Evaluation of C(13)/C(13')-Bis(desmethyl)disorazole Z, Angew. Chem. Int. Ed. 2022: externe Seite https://doi.org/10.1002/anie.202212190

T. Brütsch; S. Berardozzi, M. L. Rothe; M. R. Horcajo, J. F. Diaz; K.-H. Altmann, Org. Lett. 2020, 22, 8345-8348. externe Seite https://doi.org/10.1021/acs.orglett.0c02974

Glaus, F.; Dedic, D.; Tare, P.; Nagaraja, V.; Rodrigues, L.; Ainsa, J. A.; Kunze, J.; Schneider, G.; Hartkoorn, R. C.; Cole, S. T.; Altmann, K.-H. Total Synthesis of Ripostatin B and Structure-Activity Relationship Studies on Ripostatin Analogs. J. Org. Chem. 2018, 83, 7150-7172. externe Seite https://doi.org/10.1021/acs.joc.8b00193

Prota, A. E.; Bargsten, K.; Zurwerra, D.; Field, J. J.; Díaz, J. F.; Altmann, K.-H.; Steinmetz, M. O. Molecular Mechanism of Action of Microtubule-Stabilizing Anticancer Agents. Science 2013, 339, 587-590. externe Seite doi: 10.1126/science.1230582

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert