Wie man bioinspirierte Katalysatoren entwickelt

Als natürliche Katalysatoren können Enzyme komplexe chemische Reaktionen effizient beschleunigen. Victor Mougel und sein Team wollen dies imitieren. Erstmals synthetisierten sie eine ganze Reihe von Eisen-Schwefel-Cuban-Redoxclustern in allen Oxidationsstufen und zeigten, wie ihre Umgebung Redoxpotenzial und Reaktivität beeinflusst. Die Cluster sind auch wirksam bei der Entwicklung hocheffizienter CO2-Reduktions-Katalysatoren. Mougel erhält den Ruzicka-Preis 2023 am 23. November.

Victor Mougel ist ein absoluter Naturfan: nicht nur, weil er auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, mit Frau und Kindern viel Zeit im Freien verbringt und bisweilen mit dem Mountainbike Schweizer Berge erklimmt. Er ist auch beruflich der Meinung, dass kein Chemiker der Natur das Wasser reichen kann. «Sie schafft die anspruchsvollsten Umwandlungsreaktionen und ist eine erstaunliche Quelle der Inspiration», schwärmt der Assistenzprofessor.

Auch seine Gruppe an der ETH Zürich lässt sich von natürlichen Systemen inspirieren: Sie ahmt makroskopische Formen von lebenden Organismen nach sowie natürliche Systeme auf Mikro- und Molekularebene, insbesondere Enzyme. Denn diese hocheffizienten natürlichen Katalysatoren treiben in der Natur eine Vielzahl von Reaktionen an.

Lernen von 3 Milliarden Jahre Entwicklung

Die Katalyse ist ein Prozess, bei dem bestimmte Moleküle (Katalysatoren) eingesetzt werden, um Reaktionen zu beschleunigen und so Stoffe umzuwandeln. "Im Gegensatz zur Natur verwenden Chemiker:innen oft seltene Metalle als Katalysatoren. Das ist keine nachhaltige Vorgehensweise für Prozesse auf globaler Ebene", umreisst Mougel das Problem. Tatsächlich werden die meisten Bausteine für die chemische Produktion derzeit aus fossilen Quellen gewonnen. Das geht mit Umweltproblemen wie der Ansammlung von Kohlendioxid und Nitraten einher. Die Elektrochemie ist eine attraktive Option, um diese problematischen Moleküle wieder in den Kreislauf zu integrieren, und zwar indem man sie auf nachhaltige Weise wieder zurückverwandelt in andere nützliche Stoffe.

"Ein Schlüsselelement ist hier die Entwicklung neuer Elektrokatalysatoren, die diese Umwandlung mit hoher Aktivität und Selektivität ermöglichen und im Sinne der Nachhaltigkeit nur Elemente verwenden, die in der Erde vorkommen. Die Natur zeigt den Weg: Seit über drei Milliarden Jahren entwickelt sie enzymatische Katalysatoren und diese nutzen reichlich vorhandene Moleküle wie N2 und CO2 für den effizienten Aufbau komplexer Moleküle und Materialien", zeigt sich Mougel begeistert, "das können wir uns zunutze machen und bioinspirierte Katalysatoren entwickeln, die zur Lösung unserer dringendsten Probleme beitragen können."

Victor Mougel with one o f his team mebers in the lab
Im Labor von Victor Mougel gehen Anwendung und Grundlagenforschung stets Hand in Hand (Foto: Julia Ecker)

Künstliche Blätter und bio-inspirierte CO2-Reduktion

Dafür verfolgt Mougel mit seiner Gruppe zwei Ansätze: Sie versuchen erstens die Struktur der aktiven Zentren von Enzymen nachzubilden; zweitens imitieren sie Funktionen, die in Enzymen zu finden sind, und wollen diese Funktionen reproduzieren, allerdings ohne sich auf die natürlich vorkommenden Strukturen zu beschränken.

Künstliches Blatt
Foto: Silver-Hamill Turren-Cruz

So hat Mougel’s Team im Rahmen einer Forschungskooperation beispielsweise ein künstliches "Blatt" hergestellt (Huan et al. 2019). "Kohlendioxid, eines der drängendsten Umweltprobleme, ist ein stabiles, oxidiertes Molekül", erklärt Mougel. "Eine Lösung könnte darin bestehen, von Enzymen inspirierte Katalysatoren zu entwickeln, die CO2 effizient reduzieren – indem sie Elektronen auf das Molekül übertragen – und es so in nützliche Produkte umzuwandeln. Oft wird vergessen, dass CO2 und Stickoxide nicht nur Abfallprodukte und eine Gefahr für das Klima sind. Sie sind in erster Linie Grundbausteine des Lebens und ein wichtiges Ausgangsmaterial, aus dem sich nützliche Chemikalien herstellen lassen." Das war die Idee hinter dem künstlichen Blatt: "Statt wie natürliche Blätter Kohlendioxid und Wasser in Sauerstoff und Zucker umzuwandeln, produziert unser System Kohlenwasserstoffe und nutzt dabei das Sonnenlicht als einzige Energiequelle."

Weiters entwickelte die Gruppe auch effiziente Katalysatoren für die Reduktion von CO2 zu Ameisensäure, einer wichtigen industriellen Verbindung. Dafür bildete sie das aktive Zentrum des Enzyms Kohlenmonoxid-Dehydrogenase (CODH) nach, welches zwei Metalle enthält (Mouchfiq et al. 2020).

Metallhydride kontrolliert herstellen

Kürzlich konzentrierte sich die Gruppe auf ein Schlüsselmerkmal von Enzymsystemen: den Elektronentransfer. In der Natur werden Elektronenübertragungen in der Regel durch Eisen-Schwefel-Cluster vermittelt. Diese sind für die meisten lebenden Organismen unerlässlich, da sie an Prozessen wie der Photosynthese, der mitochondrialen Energieerzeugung und der DNA-Replikation beteiligt sind. "Sie fungieren als natürliche elektrische Drähte und übertragen Elektronen in den Proteinstrukturen. Zudem sind sie auch an Protonenübertragungen und an der Aktivierung kleiner Moleküle beteiligt", erläutert Mougel.

Synthetische Eisen-Schwefel-Cluster könnten laut Mougel für die Entwicklung besserer elektrokatalytischer Systeme genutzt werden: "Wir konnten zum Beispiel nachweisen, dass wir, wenn wir bekannte Katalysatoren für die Reduktion von Kohlendioxid mit Eisen-Schwefel-Clustern kombinieren, nicht nur ihre katalytische Aktivität stark erhöhen, sondern auch ihre Selektivität völlig verändern können". Die Gruppe konnte zeigen, dass die Cluster den sogenannten konzertierten Protonen-Elektronen-Transfer (CPET) fördern, bei dem ein Proton und ein Elektron gleichzeitig gespeichert und vom Cluster auf ein Substrat übertragen werden.

Mougel und seiner Gruppe gelang es zum ersten Mal, auf diese Weise ein Metallhydrid kontrolliert herzustellen und dieses Hydrid für die Umwandlung von CO2 in Ameisensäure zu verwenden (Dey et al. 2022). Dies war die erste experimentelle Demonstration dieses wichtigen Konzepts, von dem man erwartet, dass es weitreichende Auswirkungen auf die Elektrokatalyse haben wird. Denn Metallhydride sind zentrale Zwischenprodukte in vielen katalytischen Umwandlungen.

Solid-state molecular structures of Iron-SulfurClusters in different oxidations states in crystals (Grunwald et al. 2022).
Festkörper-Molekularstrukturen von Eisen-Schwefel-Clustern in verschiedenen Oxidationszuständen in Kristallen (Grunwald et al. 2022).

Die elektrischen Drähte der Natur imitieren

Solche Beispiele zeigen: Natürliche Systeme zu verstehen ist Trumpf. Deshalb gehen in Mougels Labor Anwendung und Grundlagenforschung stets Hand in Hand. So hat die Gruppe auch die grundlegenden Redox-Eigenschaften von Eisen-Schwefel-Clustern im Detail untersucht. "Das Spannende ist: Will man CO2 in nützliche Verbindungen wie langkettige Kohlenwasserstoffe, Ethylen oder Ethan umwandeln, sind bis zu 14 Elektronenreduktionen notwendig.

Alle biologischen CO2-Reduktase-Enzyme sind jedoch auf Zwei-Elektronen-Prozesse beschränkt", erklärt Mougel, "aber der Nitrogenase-Enzymkomplex hat ein Eisenprotein mit einem Eisen-Schwefel-Cluster, das diese Beschränkung im Prinzip umgehen kann, obwohl dies in biologischen Systemen nicht vorkommt. Bisher fehlte jedoch ein künstliches Modell, um dies genauer zu untersuchen."

Mougel und seiner Gruppe ist es erstmals gelungen, solche extrem reduzierten Eisen-Schwefel zu isolieren und zu stabilisieren und schliesslich eine komplette Serie von sogenannten Eisen-Schwefel-Cuban-Redoxclustern in allen Oxidationsstufen zu synthetisieren und zu charakterisieren (Grundwald et al. 2022). Dies ermöglichte eine gründliche Analyse der unterschiedlichen strukturellen und elektronischen Eigenschaften.

In einem nächsten Schritt konnte die Gruppe zeigen, dass selbst kleine Veränderungen in der Umgebung dieser Cluster einen grossen Einfluss auf ihre Dynamik und ihr Redoxpotential haben können (Grundwald et al. 2023). Dies ermöglicht die Erzeugung extremer Reduktionspotenziale, d.h eine erleichterte Oxidation und Reduktion der Reduktionspartner, in situ sowie auf Abruf (Gating-Konzept).

Für seine Forschung, speziell für seine Beiträge im Bereich der Eisen-Schwefel-Cluster erhält Victor Mougel nun den Ruzicka-Preis – eine Auszeichnung, die ihm viel bedeutet, die er aber auch, wie er betont, nur als Stellvertreter vieler Köpfe entgegennimmt. «Ich möchte vor allem meinem Team danken. Letztlich wäre ohne ihr Engagement keiner dieser Forschungserfolge möglich gewesen. Die Menschen in meiner Gruppe sind der Motor dieser Forschung und eine wichtige Motivation für mich, weiterhin gemeinsam Projekte aufzubauen.

Mougel Group Foto_Curling event
Mougel Gruppe (Foto: Victor Mougel) 

Victor Mougel stammt aus Pesmes, Frankreich, und studierte an der Ecole Normale Supérieure de Lyon. Sein Interesse an der Nachahmung natürlicher Systeme geht auf seine Promotion im Jahr 2009 zurück. Im Labor von Prof. Marinella Mazzanti am CEA-Grenoble untersuchte er die Synthese, Reaktivität und magnetischen Eigenschaften von polynuklearen Urankomplexen und erforschte, wie natürliche Systeme mit Uran umgehen. Für seine Arbeit erhielt er den Preis für die beste Diplomarbeit der Universität Grenoble. Um mehr über Katalyse zu lernen, wechselte Victor Mougel als ETH-Stipendiat an die ETH Zürich. Als Mitglied der Gruppe von Prof. Christophe Copéret entwickelte er neue Katalysatoren für die Alken-Metathese mit Hilfe von Ansätzen der organometallischen Oberflächenchemie. Nach einem dreijährigen Forschungsintermezzo als CNRS-Forscher am College de France im Labor für Chemie biologischer Prozesse kehrte Mougel 2018 als Assistenzprofessor für Anorganische Chemie mit Tenure-Track-Status an die ETH Zürich zurück.

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Der Ruzicka-Preisträger Victor Mougel stellt sich und seine Forschung vor und lädt zur Ruzicka Lecture am 23. November 2023 ein (Video: Julia Ecker)

Der Ruzicka Preis

Der Ruzicka-​Preis, benannt nach dem ETH-​Professor und Nobelpreisträger Leopold Ruzicka, gilt als einer der wichtigsten Nachwuchsförderungspreise auf dem Gebiet der Chemie in der Schweiz. Der Preis ist mit 10.000 CHF dotiert.

Victor Mougel's Ruzicka Preisverleihung & Vorlesung: 

Mimicking Nature's Electric Wires: Redox Properties and Catalytic Applications of Synthetic Iron-Sulfur Clusters.

23. November 23, 17-18 Uhr, Saal G3, HCI Gebäude (Hönggerberg)

 

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Der Ruzicka Preis 2023 wird gesponsert von dsm-firmenich. 

Weitere Information

Mougel Gruppe

Dey S., Masero F., Brack E., Fontecave M., Mougel V. (2022): Electrocatalytic metal hydride generation using CPET mediators. Nature volume 607, 499–506 (2022) externe Seite https://doi.org/10.1038/s41586-022-04874-z

Grunwald L., Clémancey M., Klose D., Dubois L., Gambarelli S., Jeschke G., Wörle M., Blondin G., Mougel V. (2022): A complete biomimetic iron-sulfur cubane redox series. PNAS 119 (31) e2122677119. externe Seite https://doi.org/10.1073/pnas.2122677119

Grunwald L., Inoue M., Cendoya Carril P., Wörle M., Victor Mougel (2023): Gated electron transfers at synthetic iron-sulfur cubanes, Chem, 2023. externe Seite https://doi.org/10.1016/j.chempr.2023.09.023

Huan T.N., Alves dalla Corte D., Lamaison S., Karapinar D., Lutz L., Menguy N., Foldyna M., Turren-Cruz S.H., Hagfeldt A. Bella F., Fontecave M., Mougel V. (2019) Low-cost high-efficiency system for solar-driven conversion of CO2 to hydrocarbons. PNAS 116 (20) 9735-9740. externe Seite https://doi.org/10.1073/pnas.1815412116

Article: Artificial plants make fuel from CO2 and sunlight

Mouchfiq A., Todorova T.K., Dey S., Fontecave M., Mougel V. (2020): A bioinspired molybdenum–copper molecular catalyst for CO2 electroreduction. Chem. Sci., 2020, 11, 5503. externe Seite https://doi.org/10.1039/D0SC01045F

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