„Die Lehre bietet ein unmittelbares Erfolgserlebnis“
Seit zwölf Jahren unterrichtet Helma Wennemers am D-CHAB mit ungebrochener Begeisterung – seien es nun Spezialvorlesungen oder Basisvorlesungen in Organischer Chemie. Für ihr Engagement wurde die Professorin nun vom Verband der Studierenden der ETH Zürich (VSETH) mit der Goldenen Eule 2023 geehrt. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen, ihren Vorbildern und verrät, welchen Wert traditionelle Lehrmethoden haben.
Sie kommen gerade aus der Vorlesung. Wie war es heute?
Toll! Meine Studierenden und ich haben viel Spass miteinander gehabt.
Können Sie sich noch an Ihre allererste Vorlesung erinnern? Wie haben Sie die erlebt?
Na klar, das war in Basel, und es war eine Vorlesung zu «Chemical Evolution». Ich war damals Assistenzprofessorin, noch ohne eigene Doktoranden. Im Hörsaal waren dann Doktoranden aus anderen Gruppen und haben hinten im Raum ein Banner gehisst mit: Go Helma, go! Das hat mich erstmal völlig aus der Fassung gebracht, war aber total lustig und hat der Qualität der Vorlesung nicht geschadet.
War die Lehre auch der Grund für den Professorenberuf?
Tatsächlich bin ich Professorin geworden, weil mich die Forschung reizte, das Vordringen in Unbekanntes. Aber ich habe die Lehre schnell zu schätzen gewusst. In der Forschung braucht es oft einen langen Atem, während die Lehre ein unmittelbares Erfolgserlebnis bietet. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man merkt, dass das Erklärte bei den Studierenden ankommt.
Hatten Sie Vorbilder?
Als Assistenzprofessorin habe ich die Grundlagenvorlesung Organische Chemie gehalten und hatte das Glück, dass Prof. Maitland Jones, Jr. (Princeton University, später New York University) als Gastprofessor bei uns war. Mait hat ein ausgezeichnetes Lehrbuch geschrieben und besitzt eine wahre Gabe für die Lehre. Da er kein Deutsch sprach, durfte er keine ganze Vorlesung halten, aber einen meiner Kollegen für zwei Stunden vertreten. Diese Vorlesung war sensationell! Er hat die Studierenden auf ihrem Wissensstand «abgeholt» und sie durch den Stoff geleitet. Ähnlich versuche ich meine Vorlesungen zu strukturieren und lege dabei vor allem Wert auf das Verständnis wichtiger Konzepte.
Würden Sie sagen, dass sich die Lehre mit der Zeit verändert hat?
Als ich in Frankfurt Chemie studiert habe, war die Philosophie des organischen Ordinarius: „Was in Lehrbüchern steht, ist trivial und gehört nicht in eine Vorlesung.“ Diese Meinung teile ich nicht, denn eine Vorlesung ist dazu da, den Stoff verdaulich zu machen, dabei Akzente zu setzen und Verknüpfungen zu zeigen. Ich bin insbesondere bei Grundlagenvorlesungen ein Fan der Tafel, auch wenn der Tafelanschrieb von vielen als "Dinosauriertum" angesehen wird.
Warum, was kann die Tafel was Folien nicht können?
Der Tafelanschrieb hat zur Folge, dass sich meine Geschwindigkeit der Geschwindigkeit der Studierenden anpasst. Zudem erlaubt er es, im Laufe einer Vorlesungsstunde einen Gedanken zu entwickeln. Der erstreckt sich dann von der linken oberen Tafel bis zur rechten unteren Tafel. Ich komme immer wieder auf zuvor Erklärtes zurück, verweise auf Zusammenhänge. Es geht um die Konzepte, nicht um das Einprügeln von Reaktionen, und die Konzepte werden durch die Tafel deutlicher als auf PowerPoint-Folien. Letztere sind jedoch, neben Lehrbüchern oder anderen Quellen, nützlich zum Verinnerlichen des Stoffes nach der Vorlesung.
Nun haben Sie die Goldene Eule von den Studierenden erhalten. Was war Ihr erster Gedanke als Sie von dem Preis erfahren haben?
Grosse Freude! Ich bin mit Leidenschaft bei der Lehre und dass das honoriert wird, bedeutet mir sehr viel. Aus den Reaktionen der Studierenden während und nach der Stunde sehe ich, dass meine Vorlesungen geschätzt werden. Die Goldene Eule ist das i-Tüpfelchen!
Wodurch, würden Sie sagen, zeichnen sich Ihre Vorlesungen aus?
Meine Vorlesungen sind interaktiv. Ich versuche die Studierenden zum Mitdenken anzuregen, unter anderem durch viele Fragen. Und tatsächlich – das mag jetzt verrückt klingen – bin ich oft froh, wenn die Antwort nicht richtig ist. Dann haben in der Regel viele Studierende einen wichtigen Aspekt noch nicht bedacht. Ihre Überlegung gibt mir dann die Möglichkeit, diesen Aspekt klar zu machen und den Gedankengang weiterzuführen. Wenn man die Grundkonzepte verstanden hat, ist organische Chemie ein Spiel mit Molekülen.
Gibt es Anekdoten aus Ihren Vorlesungen?
[Lacht]. Klar! Eine, die mir, meinen Teaching Assistants und allen Studierenden in Erinnerung bleiben wird, passierte am 6. Oktober 2021 in der OCI-Vorlesung. Thema der Vorlesung waren Imine, Enamine & Co. Während dieser Vorlesung wurde der Nobelpreis für Chemie bekannt gegeben … an Benjamin List und David MacMillan für die Entwicklung «Asymmetrischer Organokatalysatoren», Arbeiten bei denen Imine und Enamine eine zentrale Rolle spielen und die auch für die Forschung meiner Gruppe wichtig sind. Beide Kollegen kenne ich gut und so kam es zu einem spontanen Intermezzo, auch mit Anekdoten zu Ben und Dave, die den Studierenden zeigten, wie menschlich Wissenschaft ist.
Bei so vielen Vorlesungen läuft doch sicher nicht immer alles glatt. Gibt es Beispiele?
Im Eifer des Gefechts passiert es immer mal, dass an der Tafel z. B. eine Ladung an einem Molekül vergessen geht. Denn beim Tafelanschrieb gilt es gleichzeitig zu denken, schreiben, sprechen und schon den nächsten Punkt zu überlegen. Super ist es, wenn die Studierenden diesen Fehler vor mir bemerken. … es gibt mir die Gelegenheit – mit einem Augenzwinkern – zu bemerken, dass das nur ein Check war, ob alle aufmerksam sind.
Ihr Tipp in solchen Situationen?
Sich nicht aus der Fassung bringen lassen und Humor behalten.
Was würden Sie angehenden Lehrenden sonst noch mit auf den Weg geben?
Wie bei allem im Leben, mit Begeisterung bei der Sache sein. Es gilt, einen roten Faden für die Vorlesung zu haben, den Wissensstand der Studierenden zu kennen und genau zu wissen, was die wichtigen «lessons learned» der jeweiligen Vorlesung sind. Und dann den Funken der Begeisterung überspringen zu lassen. Ähnlich wie bei Forschungsvorträgen ist es toll, dass interessierte Zuhörer in den Hörsaal kommen. Diese gemeinsame Zeit gilt es zu geniessen. Wissensweitergabe ist ein Privileg und macht Spass.
Welches Zeugnis stellen Sie der Lehre an der ETH und am D-CHAB aus?
Die Ausbildung, die unsere Studierenden an der ETH erhalten, ist ausgezeichnet. Es ist insbesondere das Wechselspiel von Vorlesungen und Praktika, die unsere Ausbildung gegenüber anderen Universitäten auszeichnet. In den Praktika wird das theoretische Wissen verdaut. Zudem bilden sich in den Praktika Freundschaften zwischen den Studierenden, die sie zu Teamspielern machen und oft ein Leben lang halten.
Gibt es noch etwas, was Sie anfügen möchten?
Auf jeden Fall: Ein ganz herzliches Dankeschön an meine Teaching Assistants und Doktoranden/Postdocs für ihren Einsatz in der Vorlesung und den Übungen!