Das molekulare Leben der Katalysatoren entschlüsseln
Sei es für Frischhaltefolie oder Wasserstofferzeugung: in der Chemie strebt alles nach effizienten, günstigen Katalysatoren. Dabei ist wenig über ihre chemisch-molekulare Funktionsweise bekannt. Prof. Murielle Delley von der Universität Basel möchte dies ändern und entwickelt Methoden, um die Herstellung von effizienteren, nachhaltigeren Katalysatoren zu fördern. Für ihre kontrollierte Oberflächenmodifikation von Kobalt-Phosphid mit Schwefel erhält sie den Ruzicka-Preis 2024. Ein Portrait.
Kennen Sie „Wo ist Walter“? In dieser bekannten Buchreihe gibt es ein Wimmelbild von einem Skihang und zwischen den Skifahrer:innen versteckt einen Herrn namens Walter. Ihn gilt es zu finden. Auch Murielle Delley ist auf der Suche nach ihm: privat, wenn sie mit ihren Kindern im Bilderbuch blättert, aber im übertragenden Sinne auch beruflich.
Die Assistenz-Professorin am Chemie-Departement der Universität Basel vergleicht den Skihang in Ihrer Vorlesung nämlich gern mit der Oberfläche eines heterogenen Katalysators – einer festen Substanz, welche Reaktionen ermöglichen bzw. beschleunigen kann ohne dabei selbst verbraucht zu werden. „Das Bild des Skihangs soll die Komplexität der Chemie auf solchen Katalysator-Oberflächen veranschaulichen, denn auch dort passiert vieles gleichzeitig“, erklärt Murielle Delley.
Die Skifahrer:innen stehen dabei für verschiedene katalytisch aktive Zentren („Sites“) – Stellen also, die mit dem Reaktant wechselwirken. Manche Skifahrer fahren zielstrebig bergab, sind also chemisch gesprochen katalytisch aktiv, während andere im Sessellift sitzen, sprich „inaktiv“ sind, und wieder andere weiteren Tätigkeiten nachgehen (Nebenreaktionen). „Entsprechend herausfordernd ist es in dem Gewimmel jene Site zu finden und zu untersuchen, die für die Katalyse besonders relevant ist. Diese wäre sinnbildlich gesprochen unser Walter,“ erläutert die Chemikerin.
Ziel von Delleys Forschung ist es zu ergründen, wie die Katalysatoren chemisch funktionieren, wie sich diese Funktion kontrollieren lässt und wie man auf Basis dessen Katalysatoren für bestimmte Prozesse – z.B. Elektrolyse bei der Wasserstoffgewinnung – gezielt herstellen kann. Denn bis heute lässt sich zwar empirisch gut beobachten, wie sich ein Material bzw. eine Oberfläche verhält, auf molekularer Ebene gibt es jedoch noch enorme Wissenslücken. Erste grosse Schritte zur Aufklärung hat die Professorin unlängst mit einer neuen Methode geschafft.
Edel ist gut, häufig vorkommend ist besser
Die chemische Produktion strebt stets nach effizienten, günstigen Prozessen. Dabei spielen Katalysatoren eine wichtige Rolle. „Nur sind viele nicht gut genug verstanden und enthalten Materialien, die man heute nicht mehr für die Katalyse verwenden will“, präzisiert Delley.
Aufgrund ihrer Eigenschaften wurden bislang z.B. Platin oder Palladium eingesetzt – teure, kaum verfügbare Edelmetalle. Mittlerweile fasst man andere Übergangsmetalle als Alternative ins Auge, gerne in Verbindung mit Phosphor. Unter diesen sogenannten Übergangsmetall-Phosphiden hat sich Kobalt-Phosphid (CoP) in vielen industriell wichtigen Reaktionen als vielversprechender Ersatz für Edelmetalle herauskristallisiert.
„CoP kommt deutlich häufiger vor als Edelmetalle, hat aber zugleich ähnliche katalytische Eigenschaften, zum Beispiel in Hydrogenierungsreaktionen – sehr wichtige Reaktionen bei der Herstellung vieler chemischer Produkte“, erklärt Delley. Auch lasse sich CoP einfach und kontrolliert synthetisieren. Nicht zuletzt deshalb bot es sich ihr als gutes Modellsystem für die Erforschung der Oberflächenchemie an.
Mit letzterem Feld beschäftigt sich Delley seit 2017. Vorher hatte die lernbegeisterte Studentin mit Heimatort in Fribourg Chemie an der ETH Zürich studiert. Schon früh fühlte sie sich in der Wissenschaft zu Hause und interessierte sich für fundamentale Prozesse mit praktischer Anwendung. Während ihres Doktorats bei Prof. Christophe Copéret an der ETH forschte sie an chrombasierten, heterogenen Katalysatoren, welche grosse Bedeutung für die Herstellung von Polyethylen haben, und trug mit ihrer preisgekrönten Arbeit (Delley 2017) zum besseren Verständnis dieser Katalysatoren bei.
Neue Perspektiven fürs Katalysatordesign
Später als Professorin fiel Murielle Delley auf, dass bei Übergangsmetall-Phosphid-basierten Katalysatoren im Anwendungsbereich Elektrokatalyse und Hydrosulfurierung (Hydrotreating) Schwefel zwar eine grosse Rolle spielt, seine konkrete Funktion aber kaum verstanden war. „Darum haben wir in der Gruppe begonnen Kobalt-Phosphide, kurz CoP, als Modell herzustellen und über molekulare Methoden Schwefel aufzubringen.“ Der Nachweis erfolgte mittels NMR und oberflächen-sensitiver Spektroskopie.
Für den Schwefeltransfer hat ihre Gruppe verschiedene Phosphinsulfide verwendet. Diese unterscheiden sich in ihren Eigenschaften und können unterschiedlich viel Schwefel auf die Oberfläche aufbringen. „Als Resultat erhielten wir verschiedene Kobalt-Phosphide mit unterschiedlich viel und unterschiedlich stark gebundenem Schwefel – also eine Serie von Katalysatoren, die wir für die Katalyse testen konnten“, führt Delley aus. „Da wir mit Gleichgewichtsreaktionen arbeiten, konnten wir Rückschlüsse auf die thermochemischen Eigenschaften des Schwefels auf der Oberfläche ziehen, was uns wiederum Erkenntnisse über die Funktion von Schwefel in diesen katalytischen Reaktionen brachte“ (Arnosti et al. 2023). Dies eröffnet neue Wege für das Katalysatordesign.
„So eine Forschung lässt sich nur durch Teamwork schaffen. Die Materialien bleiben auch im Versuchssetting komplex, das heisst, wir haben eine relativ grosse experimentelle Variation von Versuch zu Versuch. Um das statistisch auszugleichen, waren viele Wiederholungen mit exakt denselben Parametern nötig. Dies ist nur mit einem herausragenden Team möglich“, betont Delley.
Für die chemische Modifikation von katalytischen Oberflächen erhält Murielle Delley nun den Ruzicka Preis 2024.
«Für mich und meine Gruppe ist der Ruzicka Preis eine riesige Ehre, zumal wir uns damit in eine Reihe von herausragenden Ruzicka Preisträger:innen einreihen dürfen.»Prof. Murielle Delley (Foto: Karissa Van Tassel)
Zudem dürfte der Preis auch ein Ansporn für weitere Projekte sein. Denn chemische Modifikation ist nur ein Ast von Murielle Delleys Forschung. Ihr zweites Interessensgebiet beschäftigt sich mit den physikalischen Aspekten der Oberfläche von Katalysatoren – ein Thema, für welches sich Delley in ihren Postdoc-Jahren in Yale zu interessieren begann. Nun da ihre Gruppe weiter wächst, möchte sie auch „elektrische Felder als Kontrollelement für thermische Reaktionen untersuchen .“ Die nächste Publikation dürfte nicht lange auf sich warten lassen.
Bis dahin wird sie beruflich machen, was sie als Forscherin am liebsten tut – mit Menschen wissenschaftliche Ideen diskutieren – und privat mit Ehemann und Kindern die Natur erkunden, vielleicht sogar den einen oder anderen Skihang.
Murielle Delley studierte Chemie an der ETH Zürich und schloss ihre Doktorarbeit bei Professor Christophe Copéret 2017 ab. Für ihre Doktorarbeit „Molecular-Level Understanding of Structure and Reactivity of Isolated Chromium Sites on Oxide Surfaces“ erhielt Murielle Delley den Prix Schlaefli 2019 in Chemie der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften. Nach einem Postdoc an der Yale University bei Professor James M. Mayer setzte Murielle Delley ihre Karriere am Departement für Chemie der Universität Basel fort (Branco-Weiss-Fellow, PRIMA-Professorin des Schweizerischen Nationalfonds). Im Jahr 2023 trat sie ihre Assistenzprofessur mit Tenure Track an der Universität Basel an.
Der Ruzicka-Preis, benannt nach dem ETH-Professor und Nobelpreisträger Leopold Ruzicka und gesponsert von dsm-firmenich, ist eine der wichtigsten Auszeichnungen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich der Chemie in der Schweiz. Der Preis ist mit 10'000 CHF dotiert.
Weiterführende Information:
Delley M (2017): Molecular-Level Understanding of Structure and Reactivity of Isolated Chromium Sites on Oxide Surfaces (doctoral thesis)
Arnosti N. et al. (2023): Controlled Surface Modification of Cobalt Phosphide with Sulfur Tunes Hydrogenation Catalysis. Journal of the American Chemical Society Vol 145/Issue 43. externe Seite doi.org/10.1021/jacs.3c07312
Wyss et al. (2024): Thermocatalytic epoxidation by cobalt sulfide inspired by the material's electrocatalytic activity for oxygen evolution reaction. Catal. Sci. Technol.,14 / 4550. externe Seite doi.org/10.1039/d4cy00518j